Die Türkei veranstaltet ein lehrreiches Experiment

Zinsen senken und Geldmenge begrenzen: mit dieser Mischung wollen die Türken Inflation und den Zufluss von spekulativem Kapital zugleich bekämpfen. Ob das gelingt, ist auch für andere Länder interessant.

Der türkische Zentralbankchef Durmus Yilmaz probiert so etwas wie die Quadratur des Kreises: Er senkt die Zinsen und versucht, die Geldmenge zu begrenzen – eigentlich ein Widerspruch. Analysten sprechen denn auch von einem „Experiment“. Tevfik Aksoy, Türkei-Chefvolkswirt bei Morgan Stanley, nennt es „kreative Geldpolitik.“
Die Türkei bekämpft so mit einer unorthodoxen, aber durchaus schlüssigen Strategie ein Problem, das sich auch anderen Schwellenländern stellt: Ein Welle von Liquidität – Folge der lockeren Geldpolitik vor allem in den USA – überschwemmt die Welt und bedroht gerade die finanziell stabilen Länder. Yilmaz will Aufwertungsdruck von der türkischen Lira nehmen, um das ausufernde Leistungsbilanzdefizit in den Griff zu bekommen. Die starke Lira verbilligt Importe und verteuert Ausfuhren. So hat sich der Fehlbetrag in der Leistungsbilanz 2010 gegenüber dem Vorjahr von 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf 5,9 Prozent mehr als verdoppelt. Die Ratingagentur Fitch erwartet für 2011 einen Anstieg auf 6,1 Prozent.

Das steigende Defizit ist auch ein Resultat der Kapitalzuflüsse aus dem Ausland. Denn das heiße Geld stärkt nicht nur die Lira. Zu einem großen Teil fließt es auch in billige Verbraucherkredite und heizt damit die Konsumgüterimporte weiter an.

Die türkische Wirtschaft legte im vergangenen Jahr 2010 mehr als acht Prozent zu. Die Gefahr einer Überhitzung ist nicht von der Hand zu weisen. Der begegnet eine Zentralbank normalerweise mit Zinserhöhungen. In der Türkei würde das aber nur noch mehr vagabundierendes Risikokapital anlocken – eine gefährliche Entwicklung, zumal dieses Geld noch schneller, als es gekommen ist, wieder abgezogen werden könnte, wenn etwa Inflationsgefahren oder Währungsturbulenzen drohen. Zentralbankgouverneur Yilmaz geht deshalb den entgegengesetzten Weg: Er senkt die Zinsen, um die Lira weniger attraktiv zu machen. Nachdem die Zentralbank Mitte Dezember den Leitzins unerwartet um einen halben Prozentpunkt zurückgenommen hatte, überraschte sie im Januar mit einem weiteren Schnitt von 6,50 auf 6,25 Prozent.

Eigentlich versucht Zentralbankchef Yilmaz damit das Unmögliche: Er gibt gleichzeitig Gas und tritt auf die Bremse. Niedrigere Zinsen machen Verbraucherkredite billiger und beflügeln damit die Konsumgüterimporte. Das Handelsbilanzdefizit würde mithin weiter wachsen. Yilmaz muss daher gegensteuern und zugleich mit der Zinssenkung den Geldhahn zudrehen. Er versucht das mit einer Erhöhung der Mindestreservesätze für die Geschäftsbanken. Sie wurden Mitte Dezember bereits von sechs auf acht und jetzt weiter auf zehn Prozent heraufgesetzt. Damit zog die Zentralbank rund 9,8 Milliarden Lira (4,6 Milliarden Euro) Liquidität aus dem Markt.

Eine offene Frage bei diesem geldpolitischen Experiment ist, ob die Politik mitspielt. 2010 ist es Finanzminister Mehmet Simsek zwar gelungen, das Haushaltsdefizit auf 3,6 Prozent des BIP zu drücken; viele Euro-Staaten können davon nur träumen. Im Dezember steigerte der Staat seine Ausgaben aber bereits stärker als im Budget vorgesehen. Beobachter sehen darin Vorboten der für Juni angesetzten Parlamentswahl, in deren Vorfeld Premier Tayyip Erdogan Wahlgeschenke verteilen könnte. Die Staatsschulden der Türkei sind mit 42 Prozent des BIP zwar niedrig. Auch Unternehmen und private Haushalte sind noch relativ gering verschuldet. Zur Sorglosigkeit besteht aber kein Anlass. Zentralbankchef Yilmaz tut gut daran, sein Augenmerk auf die Leistungsbilanz zu richten. Die Zentralbank will Inflation und Spekulanten in Schach halten.

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