Unterschätzter Star : TURKISH AIRLINES

TURKISH AIRLINES | Niedrige Kosten, Top-Service und boomender Heimatmarkt: Für die Lufthansa ist ihr Allianzpartner vom

Bosporus eine größere Gefahr als die Billigflieger oder Golf-Linien wie Emirates.

Wenn Temel Kotil aus seinem Büro schaut, hat der Chef von Turkish Airlines ein schönes Blumenbeet vor Augen. Besonders auffällig ist der große Blütenkreis mit hellen Linien und einem weißen Fleck am oberen Ende. Das ist nicht nur eine Zierde des eher öden Blicks von der Zentrale der Fluglinie zu ihrem Drehkreuz Istanbul Atatürk. Das Arrangement zeigt das Unternehmensziel.

Wer genau hinsieht, erkennt den Kreis als Weltkugel. Die Linien sind Längen- und Breitengrade, das Rot ist das der Firmenfarbe und der weiße Fleck das Unternehmens- Logo mit dem stilisierten Vogel.

„Wir wollen die größte Fluglinie der Welt werden“, sagt der mit gut 1,60 Metern klein gewachsene Unternehmenslenker mit auffälligem Schnauzbart und Dauerlächeln im Gespräch mit der Wirtschafts-Woche. „Für uns ist jedes neue Flugziel eine rote Blume. Und von denen werden wir so viele wie möglich pflanzen.“ Hinter Kotils blumiger Poesie steckt ein knallharter Plan. Seit der heute 52-Jährige 2003 zu Turkish kam, wuchs das Unternehmen auf das Dreieinhalbfache. 2010 waren die Türken mit knapp 30 Millionen Passagieren und gut 140 Auslandsflugzielen bereits so groß wie Emirates aus Dubai, der Angstgegner der europäischen Marktführer.

In Europa ist die Linie vom Bosporus Nummer sechs – vor British Airways. Trotzdem werde das Unternehmen selbst bei seinen Partnern in der Star Alliance um die Lufthansa nicht so recht wahrgenommensagt Attila Dogudan, Chef desweltweit tätigen Edel-Caterers DO & CO, der unter anderem für den VIP-Bereich der Formel-1-Rennen, die Lufthansa-First-Class-Lounges und eben Turkish Airlines kocht: „Turkish ist die weltweit wohl am meisten unterschätzte Airline.“ Das dürfte sich bald ändern. „Die sind für alle europäischen Linien und besonders die Lufthansa gefährlicher als Billigflieger und Linien vom Persischen Golf“,sagt Peter Harbinson, Chef des Center for Asia Pacific Aviation. Das Marktforschungsunternehmen aus Sydney ist auf die globale Flugbranche spezialisiert.

ALLES, WAS EINE AIRLINE BRAUCHT

Wächst Turkish weiter so schnell – und danach sieht es für Harbinson aus – ist die Linie in zehn Jahren so groß wie der Lufthansa- Konzern, der seinen aktuellen Vorsprung nur durch Zukäufe wie Swiss, Austrian Airlines oder die britische BMI gehalten hat. Dabei werden die Türken allen –sogar Emirates – Marktanteile abnehmen, besonders bei lukrativen Geschäftsreisendenund in der First und Businessclass zwischen Europa und Asien. Dafür sorgt ein Geschäftsmodell,das allen Wettbewerbern zumindest in Teilen überlegen ist. „Turkish vereint die Vorteile europäischer Linien wie Effizienz mit denen der Golf-Airlines wie gutem Service und der Nähe zu Wachstumsmärkten wie Indien“, urteilt Christoph Brützel, Professor für Luftverkehrsmanagement an der Fachhochschule Bad Honnef und selbstständiger Berater. Dazu packt die an der Istanbuler Börse notierte Linie ein paar eigene Stärken drauf wie den großen Heimatmarkt, dessen Wirtschaft zweistellig wächst. Zudem will die Regierung bis 2016 einen neuen Flughafen in Istanbul bauen.

„Ich wüsste nicht viel, was eine Fluglinie sonst noch braucht“, sagt Brützel. Wenn die 1933 gegründete Turkish trotzdem als fliegender Exot gilt, liegt das an ihrer Vergangenheit. Noch zur Jahrtausendwende vereinte sie alle Laster einer Staatslinie: kaum Wachstum, hohe Verluste sowie ein unberechenbarer Service an Bord und Boden. Bei Vielfliegern stand die offizielle Abkürzung THY für „They hate you“ (Englisch für: Die hassen euch). Für die Wende sorgte der 2003 gewählte islamistische Premierminister Recep Erdogan. Für ihn gehörte zu einer mächtigen Türkei eine Fluglinie mit Strecken in die Wirtschaftszentren der Welt. Der Premier holte den Flugzeugingenieur Kotil zuerst in den Vorstand und machte ihn 2005 zu Chef der zu 49 Prozent staatlichen Linie. „Erst nahm den keiner so recht ernst“, erinnert sich ein Insider. Kotil stammt wie Erdogan aus dem rückständigen Nordosten des Landes und ließ sich zu Beginn seiner Amtszeit als Mekkapilger fotografieren, ein in der säkularen Türkei unübliches Bekenntnis zum Glauben. Als dann Mitarbeiter zur Begrüßung einer neu gelieferten Boeing im Sicherheitsbereich des Flughafens rituell ein Kamel schlachteten und nicht gefeuert wurden, schrieben viele Turkish endgültig ab. Doch Kotil erwies sich als cleverer Reformer. Er stellte alle Abläufe auf den Prüfstand, besonders bei Flugsicherheit und Pilotenausbildung, wo Turkish keinen guten Ruf hatte. „Wir haben in jedem Bereich von den Besten gelernt“, sagt Kotil. Anderswo wäre das wohl am Beharrungsvermögen des Beamtenapparats gescheitert,der trotz des Börsengangs die Unternehmenskultur dominierte. Doch Kotil spielte geschickt die nationale Karte.„Die Modernisierung des Unternehmens war ein Mittel, die Türkei größer zu machen“, erzählt der Insider. „Und so einer nationalen Aufgabe kann sich doch kein patriotischer Staatsdiener widersetzen.“

ERFOLGREICHE RENOVIERUNG

Das überzeugte viele, nicht zuletzt Flugbegleiterinnen wie Sevim Inanir, die 1994 aus Deutschland nach Istanbul kam undStewardess wurde. „Wir waren es leid, von Kollegen anderer Airlines gelegentlich mitleidig angesehen zu werden“, erinnertsie sich mit einem hörbaren fränkischen Akzent an ihre damaligen Kollegen von Lufthansa oder Singapur Airlines. „Wirwussten, wir können genauso gut sein.” Wer trotzdem nicht mitzog, fiel am Ende kaum auf unter den Motivierten und Neulingen,  die Turkish wegen des kräftigen Wachstums einstellte. „Wir haben nicht einfach Wände erneuert, sondern unser Haus um neue Trakte und Stockwerke erweitert“, sagt Kotil gewohnt blumig. Mit Ehrgeiz, politischer Rückendeckung und den natürlichen Vorteilen der Türkei schuf Kotil ein eigenes Geschäftsmodell. Grundlage sind die niedrigen Kosten. Einen Passagier einen Kilometer weit zu fliegen kostet Turkish mit 5,6 Euro-Cent 60 Prozent weniger als die Lufthansa. Dafür sorgen niedrigere Löhne sowie schlanke Strukturen, dank denen auf einen Mitarbeiter im Durchschnitt rund ein Drittel mehr Passagiere kommen als bei Lufthansa. „Wir fliegen günstiger als Billigfliegerwie Easyjet“, zitiert Kotil interne Statistiken, die er als PowerPoint-Präsentation immer bei sich trägt.Dass Turkish am Ende „eine Marge wie in Europa nur Ryanair“ schafft, so die Investmentbank Morgan Stanley, liegt am Service. Laut Skytrax, dem wichtigsten Marktforscher der Flugbranche, ist er der beste in Europa und sogar besser als der von Emirates – aber relativ preiswert.Zwar ist der Sitzkomfort kaum anders als bei der Konkurrenz. Doch beim Essen punktet Turkish mit vier Gängen und»der Wahl zwischen drei warmen Hauptgerichten in der Businessclass auf den gut zwei Stunden Flug zwischen Deutschland und Istanbul. „Der Unterschied zwischen einem Glas Wasser und einer echten Mahlzeit liegt bei weniger als drei Euro pro Passagier“, sagt Caterer Dogudan, der die Betreuung an Bord organisiert. „Niemand wählt nur wegen des Essens eine Fluglinie, aber guter Service ist das billigste Differenzierungsmerkmal. Fluglinien, die auf höhere Kundenzufriedenheit Wert legen, gewinnen Marktanteile und sind langfristig auch kommerziell erfolgreicher.“

VORTEIL TÜRKEI

Dazu hat Turkish einen natürlichen Vorteil dabei, Ausländern an Bord Heimatgefühl zu vermitteln. Wo etwa Emirates Personal aus aller Welt mühsam auf eine gemeinsame Kultur schulen muss, beschäftigt Turkish einfach Leute aus den türkischen Gemeinden in aller Welt und schult sie mit bis zu drei Wochen im Jahr doppelt so oft wie üblich in der Branche. Das überzeugt auch die Stammkundschaft europäischer Fluglinien wie Lufthansa. „Turkish Airlines ist aus unserem Geschäft nicht mehr wegzudenken”, lobt etwa Daimler-Vorstand Andreas Renschler.

Dabei ist die Offensive erst am Anfang.

Bislang wechselt nur jeder sechste der gut 30 Millionen Turkish-Kunden in Istanbulauf einen Auslandsflug. Doch in zehn Jahrensoll die Hälfte der dann wahrscheinlich weit über 100 Millionen Kunden umsteigen. „Die Mehrheit sind zumindest potenzielleKunden der großen Fluglinien in Europa und im Mittleren Osten“, urteilt Fachmann Brützel. Denn Turkish erreicht mehr Kunden alsalle Wettbewerber mit weniger Kosten und Risiko. Die Linie kann Europa und weite Teile Asiens mit 150-sitzigen Maschinen verbinden, was in den Flotten von Lufthansa oder Emirates nur Langstreckenfliegermit 250 Plätzen und mehr schaffen. Das erlaubt Flüge in kleinere Städte mit knapp 80 Kunden pro Tag, wo die anderen erst bei mehr als der doppelten Kundenzahl wirtschaftlich fliegen. Turkish hat dank der vielen türkischen Gemeinden überall potenzielle Kunden, die Freunde und Verwandte bisher nur auf Umwegen besuchen konnten und für den schnellen Weg via Istanbul einen Aufpreis zahlen. Damit braucht es oft nur eine Handvoll Geschäftsreisender pro Tag, die nach Istanbul oder zu einem der anderen Ziele wollen, und der Flug rechnet sich. Dank der niedrigen Kosten „verdient Turkish bereits mit einem halbvollen Flieger Geld“, so eine Studie der Deutschen Bank, während andere erst bei drei Viertel Auslastung ins Plus rutschen. Dabei hilft die boomende Wirtschaft desLandes mit gut elf Prozent Wachstum im ersten Quartal 2011. Besonders stark wachsen die Verbindungen in die Nachbarländer, weil Premier Erdogan das Land mangels Hoffnung auf eine EU-Mitgliedschaft als Mittler zwischen Ost und Weltaufbaut. „Je mehr die Wirtschaft im Land und in der Nachbarschaft wächst, umso mehr wächst auch Turkish“, sagt Caterer Dogudan.

Den Erfolg zeigt ein Blick in Istanbuls einfachere Geschäftsreisehotels, wo Manager aus Staaten wie der Ukraine oder Pakistan absteigen. Sie wollen Geschäfte mit dem Westen machen. Doch weil sie keine Chance auf eine für Geschäftsabschlüsse oft unerlässliche kurzfristige Einreise in die USA oder Deutschland haben, machen sie die Deals in Istanbul mit Partnern, die frei reisen können. Trotz der guten Voraussetzungen ist der Weg von Turkish nicht ohne Risiko. Die Airline hängt nicht nur von der politischen Stabilität der Region ab. Unternehmenskenner fürchten auch, der Linie könne derErfolg zu Kopf steigen, wenn sie sich nicht zumindest im Aufsichtsrat für Manager und Ideen aus anderen Regionen öffnet. Dabei könnte die Lufthansa ihrem Partner Turkish helfen – und so auch das Risiko mindern, dass Turkish ihr zu viele Passagiere abspenstig macht. Dafür müsste Lufthansa nach Ansicht von Experten über den eigenen Schatten springen und die Türken für eine bevorzugte Partnerschaft gewinnen. Wie in der Kooperation mit United Airlines aus den USA könnte Lufthansa einen Teil ihres Geschäfts wie den Verkehr zwischen Südeuropa nach Asien in eine Art Gemeinschaftsunternehmen überführen und über Istanbul abwickeln. Das wäre wegen der im Vergleich zu den Golf-Linien kürzeren Reisezeit eine Art Schutzschild gegen Emirates & Co. „Angesichts der niedrigeren Kosten von Turkish“, so Experte Brützel, „wäre am Ende sogar wohl der Ertrag höher, als wenn die Lufthansa diese Passagiere Emirates oder Etihad zu Kampfpreisen abjagt und überFrankfurt, München oder Zürich fliegt.“

ruediger.kiani-kress@wiwo.de

Quelle : Wirtschaftswoche

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