Das Klischee vom Döner-Laden ist passé

Unternehmer, Ingenieure, Wissenschaftler: Köln ist das Zentrum erfolgreicher Deutschtürken. In der NRW-Landespolitik aber stehen sie noch am Rande.
Auf dem Regal im Wohnzimmer stehen sie, die Zeugnisse des Bildungsehrgeizes. Leo Tolstoi, Krieg und Frieden, deutsche Ausgabe. Daneben: Nikolai Gogol, Fjodor Dostojewski, türkische Ausgaben. Maksuni Solmaz, Maschinenbauingenieur und der Hausherr hier, sitzt auf seinem weißen Sofa davor und sagt: “Wenn man sich anstrengt, kann man hier in Deutschland alles erreichen.”
Er muss es wissen, denn er hat viel erreicht auf seinem weiten Weg. Vom kleinen Dorf nahe Ankara, wo er vor 35 Jahren geboren wurde, bis in seine Eigentumswohnung im Kölner Stadtteil Porz, wo Solmaz heute mit seinen beiden Söhnen und seiner Frau lebt. Einst hat er im Schichtdienst beim Stahlriesen Thyssen geschuftet, jetzt ist er Diplomingenieur und Experte für Industrieversicherungen. Gerade ist er dabei, sich selbstständig zu machen.
Solmaz gehört zu einer immer größer werdenden Gruppe in Nordrhein-Westfalen: Türkischstämmige, die sich im deutschen Bildungssystem und der Arbeitswelt hochgearbeitet haben. Sie sind Unternehmer, Ingenieure, Manager. Nirgendwo sonst ist diese Gruppe so stark wie in Nordrhein-Westfalen, und nirgendwo sonst ist sie damit auch für die Parteien so wichtig.
Ein Drittel der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland lebt in Nordrhein-Westfalen, rund 843.000 Menschen sind es im gesamten Bundesland. Nur in den Stadtstaaten Bremen und Berlin ist ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung höher. Etwa jeder Dritte von ihnen, mehr als 250.000, hat einen deutschen Pass und kann somit wählen. Köln ist die Hochburg der Türkischstämmigen: Rund 92.000 leben hier, 60.000 mit türkischer, 32.000 mit deutscher Staatsbürgerschaft.
“Wenn ich Blödmann das kann, dann schaffst du das auch”
Maksuni Solmaz kam als Zehnjähriger nach Deutschland, seine Eltern waren gestorben und der älteste Bruder versuchte, der Familie hier ein neues Leben aufzubauen. Im hessischen Dillenburg kämpfte sich der junge Maksuni durch die Grund- und später die Gesamtschule. “Mein Deutsch war lange Zeit gar nicht gut”, sagt er heute mit hessischem Akzent. Dann macht er eine Ausbildung zum Verfahrensmechaniker, wurde schon nach zweieinhalb Jahren fest eingestellt. Solmaz heiratete, gründete mit gerade einmal 22 Jahren eine Familie. Hier könnte seine Geschichte zu Ende sein.
Doch Solmaz wollte mehr. Angetrieben von seinem drei Jahre älteren Bruder, der es direkt auf das Gymnasium geschafft hatte, wagte er den nächsten Schritt: An der Berufsschule lernte er Maschinenbautechniker, nebenher arbeitete er trotzdem weiter, er musste ja seine Familie ernähren. Morgens um fünft stand er auf und lernte bis acht Uhr, dann ging er bis mittags zur Schule, nachmittags und nachts riss er seine Schichten bei Thyssen ab.
Der soziale Aufstieg wurde sein Lebensprojekt. 2004 schrieb er sich für das Ingenieurstudium ein, 2005 zog Solmaz nach Köln. “NRW hat mich angezogen”, sagt er, in Köln fühlte er sich wohl und sah gute Jobchancen. An der Fachhochschule versuchte ein Professor ihn, den Ausländer, gleich in einer der ersten Vorlesungen mit besonders schwierigen Fragen zu verunsichern. Solmaz blieb ruhig und sagte: Weiß ich nicht, erklären Sie mir das doch. “Ich hatte eine Familie zu ernähren und mein Leben lang bewiesen, dass ich arbeiten kann, da lasse ich mich doch von so einem nicht aus der Bahn werfen”, sagt er heute. Wenige Jahre später war er selbst Dozent an der Hochschule.
Heute arbeitet er bei einem mittelständischen Rückversicherer, seine Frau hat ihren Schulabschluss nachgeholt und macht jetzt auch eine Ausbildung, er hat sie dazu immer wieder angetrieben. Die beiden Söhne gehen aufs Gymnasium. Seinen Neffen hat er jetzt auch überredet, zu studieren. “Wenn ich Blödmann das kann, schaffst du das auch”, hat er ihm gesagt.

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-05/NRW-wahl-migranten-tuerkei

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