Türkei als Magnet – Hoher Wachstum, Absatzmarkt, Produktionsstandort …

Die Türkei glänzt mit hohem Wachstum. Sowohl als Absatzmarkt wie als Produktionsstandort gewinnt das Land auch für Schweizer Unternehmen an Bedeutung. Auf Investoren warten jedoch einige Fallstricke.
ichmeinsgut.de : Es kommt nicht von Ungefähr, dass immer mehr ausl. Unternehmen ins Land strömen und auch hier bleiben. Der Türkei-Unternehmenslotse ist ein wichtiger Faktor. Die lokalen Gegebenheiten, aus dem Gelesenen oder Gehörtem zu kennen und vom Ausland aus zu operieren ist etwas anderes als hier zu leben,  zu agieren und komplett von diesem Markt abhängig zu sein. Erst dann kann man (fast) alle Kniffe und Möglichkeiten kennen und die Situation richtig beurteilen. Meine Erfahrung ist, dass die ausl. Produktionsunternehmen, die speziell für den Heimartmarkt bzw. die Weltmärke, von der Türkei aus produzieren, fast immer auf der sichereren Seite sind. Wenn man gut aufgestellt ist, sollte man allerdings den lukrativen türk. Inlandsmarkt ebenfalls mitnehmen.
Weiter mit dem Artikel der NZZ :
Wachstumsmärkte aufzuspüren, gestaltet sich in Zeiten der Krise besonders schwierig. Wer sich dennoch auf die Suche begibt, dem dürfte in der europäischen Nachbarschaft rasch die Türkei ins Auge stechen. Zwar hat sich die Expansion der sechzehntgrössten Volkswirtschaft der Welt jüngst ebenfalls abgeschwächt. So wird das Bruttoinlandprodukt (BIP) nach einem beeindruckenden Sprung um 9,2% und 8,5% in den Jahren 2010 und 2011 im laufenden Jahr laut Prognosen der OECD um nur noch 3% zulegen. Eine solche Zuwachsrate würde für die meisten europäischen Staaten aber noch immer ein Wunschszenario darstellen. Am Aufholprozess der Türkei hat daher auch die weltweite Finanzkrise nur wenig geändert.
Stetig steigende Kaufkraft
Der geostrategisch attraktiv gelegene Markt zwischen Europa, dem Nahen Osten und Zentralasien ist auch für Schweizer Unternehmen kein unbekannter Ort. Gegen 600 Schweizer Firmen haben im Land am Bosporus bereits Tochtergesellschaften, Verbindungsbüros oder Repräsentanzen aufgebaut und sind für über 15 000 Arbeitsplätze im Gastland verantwortlich. Die von Schweizer Unternehmen in der Türkei getätigten Investitionen summieren sich dabei auf 2,9 Mrd. Fr., was rund 0,3% der gesamten Schweizer Auslandinvestitionen ausmacht. Es sind dabei vor allem Unternehmen aus dem Chemie- und Pharmabereich, aus der verarbeitenden Industrie, der Bauwirtschaft und dem Finanzwesen, die in der Türkei präsent sind.
Als Absatzmarkt verfügt die sechstgrösste Volkswirtschaft Europas über diverse Trümpfe. Nicht genug damit, dass die Türkei mit einem durchschnittlichen Jahreswachstum um 5,2% in den Jahren 2002 bis 2011 eine der weltweit dynamischsten Regionen darstellte. Das 75 Mio. Einwohner zählende Land verfügt auch über das Plus einer jungen Bevölkerung; so ist die Hälfte der in hohem Tempo wachsenden Population noch keine 30 Jahre alt. Die Kaufkraft ist nach der Wirtschaftskrise des Jahres 2001, die zu tiefgreifenden Strukturreformen genutzt wurde, stetig gestiegen. Nach Massgabe des BIP pro Kopf resultiert für das vergangene Jahrzehnt eine Verdreifachung von 3500 $ im Jahr 2002 auf 10 500 $ im Jahr 2011. Der Aufschwung hat dabei auch Zentralanatolien erfasst, das sich vom vermeintlichen Hinterland zu einer dynamischen Industrieregion hocharbeiten konnte.
Fehlende Hochtechnologie
Am rasch wachsenden Kuchen schneiden sich auch Schweizer Unternehmen ihr Stück ab. Seit Jahren verbucht die Schweiz, die zusammen mit 21 weiteren Ländern über ein Freihandelsabkommen mit der Türkei verfügt, im bilateralen Handelsaustausch grosse Überschüsse. Im vergangenen Jahr standen Exporten im Umfang von 2,1 Mrd. Fr. weit geringere Importe von 770 Mio. Fr. gegenüber. Während die Schweiz als zwölftgrösste Lieferantin der Türkei vor allem Produkte der Chemie-, Pharma-, Maschinen-, Elektronik- und Uhrenindustrie ausführt, importiert sie aus dem flächenmässig 20-mal grösseren Land vorab Güter der Textil-, Bekleidungs-, Agrar- und Forstwirtschaft.
Zusehends rückt die Türkei aber nicht nur als Absatz-, sondern auch als Produktionsstandort in den Fokus. Die Schweizer Aussenwirtschaftsförderung Osec plant daher im Frühjahr 2013 die Eröffnung eines Swiss Business Hub in Istanbul, um nicht zuletzt kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) beim Markteintritt zu unterstützen. Alberto Silini von der Osec ortet diverse Chancen, etwa im Energiebereich, in dem die Türkei angesichts eines anhaltend steigenden Energiebedarfs grosse Investitionen plane. Grosses Potenzial versprächen aber auch die Umwelttechnologie (Abfallbewirtschaftung), die Verkehrsinfrastruktur, das Gesundheitswesen, die Kommunikationstechnologie, der Einzelhandel und das Agrargeschäft.
Die Schweiz vermag in diesen und weiteren Branchen nicht zuletzt dringend benötigtes Know-how zu liefern. So besteht ein Kernproblem der türkischen Wirtschaft darin, noch immer schwergewichtig Produkte tiefer oder mittlerer Technologie herzustellen – Produkte, die ebenso gut auch in günstigeren Ländern wie Indien oder China hergestellt werden können. Die Entwicklung in Richtung innovativer, hochwertiger und wertschöpfungsintensiver Industriegüter steht noch am Anfang. Die Regierung forciert den Prozess jedoch. Laut Emre Pinarli von der staatlichen Agentur für Wirtschafts- und Investitionsförderung (Ispat) will Ankara beispielsweise die Ausgaben für Forschung und Entwicklung langfristig verdreifachen, von derzeit knapp 1% auf 3% des BIP im Jahr 2023.
Solche Versprechen und das beeindruckende Wachstum dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Türkei für ausländische Investoren ein herausforderungsreicher Markt bleibt. Namentlich KMU entscheiden sich beim Markteinstieg denn auch oft für eine Kooperation mit einem türkischen Partner, der die lokalen und kulturellen Besonderheiten kennt. Wenig einladend wirken dabei nicht nur die oft schwerfällige Bürokratie, zeitaufwendige Bewilligungsverfahren und Probleme mit der Korruption in der öffentlichen Verwaltung. Auch die Mühlen der Justiz mahlen sehr langsam. So kann es Jahre dauern, bis eine Rechtsstreitigkeit vor Gericht geregelt ist – eine Zeit der Ungewissheit, die sich vor allem kleinere Unternehmen oft nicht leisten können.
Risiken des Markteintritts
In einer Umfrage der Schweizer Botschaft in Ankara unter Schweizer Firmen in der Türkei werden weitere Probleme für Investoren genannt: Dazu zählen ein ungenügender Schutz an Rechten geistigen Eigentums (Marken, Patente), eine hohe Besteuerung, ein komplexes Steuersystem, Probleme mit der Infrastruktur, hohe Arbeitskosten (ins Gewicht fallen vor allem die Lohnnebenkosten), eine unfaire Konkurrenz durch Akteure des informellen Sektors, fehlende Transparenz bei der Änderung von Gesetzen und Regulierungen sowie öffentliche Ausschreibungen, bei denen meist jene Unternehmen zum Zug kommen, welche den tiefsten Preis offerieren, und nicht jene, welche die beste Qualität und Kompetenz anbieten.
Was für Geldanleger gilt, stimmt wohl auch für Firmen mit internationalem Expansionsdrang: Die Aussicht auf überdurchschnittlich hohe Erträge geht auch mit überdurchschnittlich hohen Risiken einher. Dessen muss sich bewusst sein, wer auf dem türkischen Markt – hohe Wachstumsraten hin oder her – aktiv werden will. Zwar strotzt die islamisch-konservative Regierung, die dem Land seit 2002 zu einer aussergewöhnlichen politischen Stabilität und zu einem ökonomischen Reformschub verholfen hat, vor Selbstbewusstsein. An der anhaltend hohen Verletzlichkeit der offenen Volkswirtschaft ändert dies aber wenig, etwa mit Blick auf das hohe und mit kurzfristigem Kapital aus dem Ausland finanzierte Leistungsbilanzdefizit, die Importabhängigkeit bei der Energieversorgung oder die Konfliktherde in der nahöstlichen Nachbarschaft. Die Türkei ist ein vielversprechender, aber auch riskanter Markt.

http://www.nzz.ch/aktuell/wirtschaft/nzz_equity/die-tuerkei-als-magnet-1.17714289

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