Der griechische Finanzminister muss bald wieder zum Friseur

Henkel trocken: Armes Griechenland, glückliche Türkei! von Hans-Olaf Henkel 05.11.2012
Was den Griechen durch den Euro entgangen ist, sehen sie, wenn sie nach Istanbul schauen. In der Türkei will kaum einer noch die Einheitswährung. Warum auch? Griechenlands Nachbar lacht sich lieber ins Fäustchen.
Noch bevor das erste Hilfspaket für Griechenland versandt wurde, habe ich mehrfach in „Henkel trocken“ darauf hingewiesen, dass diesem bald ein zweites folgen müsse. Nachdem dieses auf den Weg gebracht worden war, hatte ich hier das dritte angekündigt. Sobald dies jetzt offen über den Bundestag oder versteckt über verschlungene Wege dem deutschen Steuerzahler den Rachen heruntergewürgt wird, kann man getrost gleich das vierte Paket schnüren.
Das ist leicht vorauszusehen, denn ein Schuldenerlass verhindert zwar einen Staatsbankrott, beseitigt aber nicht das Hauptproblem der griechischen Wirtschaft. Die Reeder in Piräus, die Textilfabrikanten in Athen und die Hoteliers in den Urlaubsorten bleiben zu teuer.
Staatsverschuldung: Griechenland bekommt mehr Geld
In der langen Geschichte der Umschuldungen von Staaten (die von Argentinien und Russland sind uns noch im Gedächtnis) hat es nie eine solche ohne gleichzeitige Abwertung gegeben. Diese ist in einer Einheitswährung bekanntlich nicht möglich. Selbst wenn man Griechenland statt eines neuerlichen „haircuts“ eine Glatze verpasste und dem Land alle Schulden erließe, müsste der griechische Finanzminister bald wieder zum Friseur.
Griechenlands Nachbar lacht sich derweil ins Fäustchen. Der selbstbewusste Auftritt des türkischen Regierungschefs in Berlin mag manchem auf den Wecker gegangen sein; vor dem Hintergrund der dynamischen Wirtschaftsentwicklung seines Landes war er berechtigt. Erinnern wir uns: Zum Zeitpunkt der Einführung des Euro waren Griechenland und Türkei in ähnlicher Situation. Arbeitslosigkeit, Inflation, Staatsverschuldung waren in beiden Ländern katastrophal, Griechenland schien nur wegen getürkter Zahlen seinem Nachbarland überlegen.
Zwei Länder, zwei Wege
Mit dem Euro begann in beiden Ländern eine wirtschaftliche Entwicklung, die kaum unterschiedlicher sein konnte. Während ein niedriger Euro-Zinssatz griechische Politiker dazu verleitete, die Staatsschulden zu verdreifachen und den Wählern nötige Reformen ersparte, blieb den türkischen Kollegen nichts anderes übrig, als das Land durch marktwirtschaftliche Reformen wettbewerbsfähiger zu machen.
Mussten die griechischen Unternehmer hilflos zusehen, wie der Euro ihre Waren und Dienstleistungen auf dem Weltmarkt immer teurer machte, konnten die türkische Notenbank und die türkischen Politiker durch eine Kombination von Abwertung der Lira und politische Reformen die Wettbewerbsfähigkeit der türkischen Wirtschaft ständig verbessern.
Nachdem die „Troika“, bestehend aus Vertretern der EU, EZB und IWF, unzählige Male in Athen nach dem Rechten gesehen haben will, hatte sich auch die Kanzlerin kürzlich dort sehen lassen. Sie hätte gleich weiter nach Istanbul fahren sollen. Dort hätte sie am besten sehen können, was den Griechen durch den Euro entgangen ist. Die Türkei boomt, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Zahl der Unternehmensgründungen explodiert, die Steuerbasis verbreitert sich, die Staatsschuldenquote ist nur noch halb so hoch wie bei uns. Lange vor Kanzlerin Merkel wird Ministerpräsident Erdogan einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen.
In Istanbul hätte sie sich von Erdogan erklären lassen können, warum kaum ein Türke noch den Euro will. Bei ihrer Rückkehr hätte sie auch den BDI mal fragen können, warum die deutsche Industrie so viel in der Türkei und so wenig in Griechenland investiert. Ehrliche Antworten auf diese Fragen hätten sie vielleicht auf die Idee gebracht, dass es doch Alternativen zu ihrer Eurorettungspolitik gibt.
Hans-Olaf Henkel, geboren 1940 in Hamburg, ist Autor und Honorarprofessor an der Universität Mannheim. Bekannt wurde der langjährige IBM-Manager vor allem als Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).
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