Wissen, wie es in türkischen Küchen zugeht

limonyumurtalik

Ein ‘Muss’ in jeder türkischen Küche. Die halbe Zitrone wird immer neben den Eiern aufbewahrt 🙂

Gerade hatte ich meinen vorangegangenen Beitrag unten geschrieben, da entdecke ich diesen Beitrag von Markus Bey aus dem derStandart.at. “Er fängt auch mit ein und selben Eigenschaft des Türken, der tief sitzenden Furcht vor Zeitverschwendung. 🙂 Müsst Ihr unbedingt lesen, wie es in türkischen Küchen zugeht. Foto nebenan ist bei mir Zuhause. Viel Spaß !

Praktischer Lebenssinn der Türken und ihre tief sitzende Furcht vor Zeitverschwendung zeigen sich beim Blick in die Küchenschränke: Dort stehen Erfindungen, die dem Schnitzel- und Pasta-Esser in Europa meist fremd sind. Heute wollen wir einige bahnbrechende Erfindungen der türkischen Küche ins rechte Licht rücken, die dem Mitteleuropäer im allgemeinen unbekannt sind und von denen mindestens die Griechen und Bulgaren angeben, sie hätten sie schon lange vor den kochwütigen Nachbarn benutzt, was eine außerordentlich legitime, hier jedoch wenig zielführende Debatte ist.

In der Türkei wird vom frühen Vormittag an schon geschnipselt, gekocht und gebraten, denn 75 Millionen Mäuler von Edirne bis Hakkari wollen täglich gestopft sein, und Zeit hat in diesem Land keiner, alles muss hurtig gehen. Wohl nirgendwo lässt sich der selbst in der Familienküche Maschine gewordene Zwang zu schnell, viel und akribisch besser zeigen als an der sarma makinası, dem halb automatischen Rollwerkzeug, das Weinblätter und eine Reis-Fleischfüllung ruckzuck zu einer daumendicken Wurst nudelt und dazu noch an beiden Enden verschließt. Schon sehr praktisch.

Ein halbes Dutzend vertilgt ein Esser schnell, macht bei einer sechsköpfigen Familie am Abend dann an die 40 sarma, und die sind dann ohnehin nur eine der Vorspeisen oder Beilagen. Etwas Übung braucht man für die Arbeit an der Sarma-Maschine, andernfalls kommen – ähnlich den ersten Zigaretten-Drehversuchen – schwindsüchtige Stangerl heraus, die möglicherweise bleibendes Missfallen der Schwiegermutter auslösen.

Sarma heißen in Bulgarien genauso und in Griechenland dolma oder dolmadakia oder genauer Dolmadakia Gialantzi, was alles auf ein gemeinsames früheres Koch-Imperium verweist. “Dolma”, das Füllen, – im Gegensatz zu “sarma”, das Drehen – bezeichnet in der türkischen Küche aber nicht die gefüllten Weinblätter, sondern die Melanzani, Paprika, Zucchini oder anderes Gemüse, das sich mit einer Ladung Reis und Fleisch aufmöbeln lässt. Vor allem um Zucchini akkuratest auszuhöhlen und nicht etwas erst der Länge nach aufschneiden zu müssen und anschließend zu füllen, was deutlich weniger raffiniert ist, kommt das dolma oder kabak oyacağı zum Einsatz, ein kombiniertes Schäl- und Schabmesser, dessen Länge in der Regel genau für eine halbierte Zucchini reicht.

Foltermethoden in der Küche

Bei den Melanzani muss man der Größe wegen vielleicht ein bisschen mehr Gewalt anwenden, aber für sie hat die türkische Küche noch andere Foltermethoden bereit. Der Gourmet-Gourmand schätzt bei den Melanzani ja den leicht verbrannten Geschmack der Fülle. Der derzeitige Kochbuch-Papst Yotam Ottolenghi weist an, ein bisschen Alufolie um die Flamme des Gasherds zu drapieren und dann die Melanzani life ein Viertelstündchen zu rösten (“keep an eye on them the whole time so they don’t catch fire…”), was ein wenig nach Campingkochen ausschaut. Türkische Köche rollen da mit den Augen. Sie haben stets die patlican közleme tavası griffbereit, eine Pfanne mit Rillen, die man auf den Gasherd stellt und wo die Flamme durchschlägt und die Melanzanischale so verkokelt, wie sich das eben gehört.

Klappernder Kochtopf

Für andere Errungenschaften, die praktischen Lebenssinn und Furcht vor Zeitverschwendung widerspiegeln, können türkische Küchenmenschen vielleicht beim besten Willen kein Patent anmelden, wie etwa für den süt taşı, dem Milchstein, welcher keiner ist, sondern als runde, leicht gewölbte Glasscheibe daherkommt: Luft unter dem Milchstein erwärmt sich beim Milch kochen und entweicht, Stein klappert, Koch hört, es ist Zeit, den Milchtopf vom Herd zu nehmen, bevor die Chose anbrennt. Zum Inventar einer ordentlich organisierten türkischen Küche gehört der süt taşı gleichwohl wie der fantastische limon sıkacağı, ein Zitronenausquetschgerät, im fliegenden Handel auf dem Bosporus-Fährboot in Istanbul erhältlich für eine lumpige Lira. Der limon sıkacağı sieht aus wie ein zu groß geratener Dübel und wird direkt und ohne Umschweife in die Zitrusfrucht gedreht bis zum Anschlag. Dann einmal herzhaft pressen und der Saft ist im Plastikdübel, komplett mit Plastikverschluss. Kein Tropfen, kein Patzen, von der Türkei lernen heißt siegen lernen. (Markus Bey, derStandard.at, 31.1.2014)

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