Teil IV: Deutsche Wiedervereinigung und der Wandel in beiden Gesellschaften
Deutschland – Türkiye – Türkei – Almanya
Teil IV: Deutsche Wiedervereinigung und der Wandel in beiden Gesellschaften
Plötzlich fahren Autokorsos mit wild geschwungenen deutschen Fahnen über dem Kudamm. Aus den Fahrzeugen wird „Deutschland einig Vaterland skandiert“ und eine bis dato nicht bekannte Ausgelassenheit und Feierlaune breitet sich aus.
Türken wundern sich zunächst, kennen sie es eigentlich nur von sich selbst – wenn einer der drei großen Istanbuler Fußballclubs die Meisterschaft gewonnen hat.
Sie feiern mit – aber nicht lange. Besonders in Berlin ist man von Anfang an „skeptisch“. Dies erfolgt sogar im Einklang mit den „deutschen“ West-Berlinern. Man ist sich einig.
Die Euphorie wird mit dem politischen Anspruch in Bonn, blühende Landschaften in Leuna, Bitterfeld und Aue entstehen zu lassen, bald und schnell verblassen. Nicht nur unter den Türken.
Sozialeinrichtungen, Integrationsstellen, Sozialarbeiter, Jugendclubs – alles muss dem Aufbau Ost weichen, sogar ein Teil von Lohn und Gehalt aller Werkstätigen und Angestellten in Deutschland.
Dies beeinflusst sowohl Ost und West bis heute.
Nun sind die Teile der Bevölkerung, die es bisher schon „schwer“ hatten, auf der Verliererstraße ohne Umkehr. Obwohl die Wirtschaft brummt, entzweien sich die diversen Gesellschaften innerhalb Deutschlands zusehends.
Auf die die neue „Variable“ aus dem Osten, hat das nun vereinte Deutschland keine Antworten.
Jeder lebt seine Auffassung von Leben und doch ist der Grad der Unzufriedenheit immens hoch. Die fast reflexartige „Antwort“ auf die Bedürfnisse auch der Bürger aus dem neuen Osten der Republik ist ähnlich, wie die damalige an die einstigen „Gastarbeiter“ = Gleichgültigkeit und Hochmut – vor allem aber Ideenlosigkeit.
Zugleich erstarkt in der Türkei eine programmatische Religionsbewegung, die insbesondere von aus in Deutschland lebenden Türken und Deutsch-Türken sowohl ideell unterstützt als auch finanziert wird.
Die Türkei steht zu dem Zeitpunkt am Anfang einer neuen Ära und das hat enormen Einfluss auf viele in Deutschland lebenden Türken, die sich ihrer Frustration mit ihrer Lage nicht mehr entledigen können.
Sie wittern jahrelange Ungerechtigkeiten und setzen sich nun gegen Diffamierungen zur Wehr. Etwas was den einstigen Einwanderern fremd war.
Die dritte Generation lässt sich nichts mehr gefallen.
Haben sie doch trotzdem die weiche „Hängematte“ des Elternhauses im Rücken und nichts zu verlieren. Etwas, das den Vätern und Müttern weder in den Sinn gekommen wäre – noch konnten sie ähnliches aufweisen.
Die Nachfolgegenerationen profitieren vom bereits „erreichten“ der Einwanderereltern aus den 60ern. Die „jungen“ bilden es auch in ihrem Status ab, mit BMW 3er oder 190er Benz und „dicker“ Uhr am Handgelenk.
Die Fronten verhärten sich zusehends und auch die Gewalt schwappt aus den Problemvierteln über. Hochkriminalisierte jeder Colouer bekriegen sich nun nicht mehr nur in der „Unterwelt“, sondern tragen ihre Auseinandersetzungen offen auf deutschen Straßen aus. Einstigen türkischen „Ordnungsgangs“ die für „Sicherheit“ sorgten wird jetzt durch Russlanddeutsche, Albanern und Arabern der Rang abgelaufen.
Der Arbeitsmarkt wird immer enger und Bewerbungen um Lehrstellen und Jobs werden durch Namen und Herkunft immer ergebnisloser.
Es entstehen erste Auswanderungsbewegungen in die einstige Heimat. In den Jahren nach 2000 werden mehr Türken aus Deutschland auswandern als ins Land kommen.
In der heutigen Zeit hat dies zur Folge, dass in Deutschland seit Jahren wichtige Arbeitskräfte fehlen und Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Deutschland verliert ein Teil seines Potentiales am Arbeitsmarkt. Die deutsche Politik wird mit Greencards für Inder gegensteuern und Spaniern werden Anreize gegeben ins Land zu kommen.
Beides versagt.
2008 klopft die Wirtschaftskrise an die Tür. Europa bricht ein und ein Feuer nach dem anderen lodert. Deutschland kann sich weitestgehend raushalten und profitiert vom überragenden Export nach China, Brasilien und auch der Türkei – die sich noch alle unbeeindruckt von der weltweiten Krise zeigen. Dort ist der „Nachholbedarf“ noch nicht gedeckt.
Türken werden nun auch im Heimatland als Experten für gewisse Wirtschaftssektoren entdeckt. Große deutsche Unternehmen expandieren dorthin und der „Deutsch-Türke“ ist ein willkommener Fachmann. Die Lufthansa verlegt ihr Callcenter (InTough) nach Istanbul.
Eine interessante Wendung.
Doch innenpolitisch braut sich unter dem Eindruck der internationalen Konsequenzen aus dem 11. September einiges zusammen.
Es wird alles anders.
Nicht sofort, aber mit grollendem Vorlauf und noch gewaltigeren Konsequenzen.
Plötzlich entsteht das Feindbild des Moslems und löst den „Russen“ als jahrzehntelang gut gepflegten Feind ab. 2015 ist „er“ aber wieder da. Putin ist nun Aggressor und Bedroher gegen ein auf dem Papier „geeintes“ Europa.
Nun werden vor allem gläubige Türken stärker wahrgenommen. Unterscheiden sie sich doch deutlich in Kleidung und Auftreten.
Der Deutsche fühlt sich in seiner immer schon gehegten (und gepflegten) Vorahnung bestätigt.
Das empfinden nun auch weite Teile der kunterbunt durchgemischten türkischen Community ebenso. Wie in der alten „Heimat“ werden die bereits bestehenden Risse nun deutlicher konturiert.
Das Bild des Vaters und der Mutter die einfache Moslems waren und still und für sich ihrem Glauben nachgegangen sind und fern von jedweder Religions-Politik waren, will nicht mit den nun in der Gesellschaft entstehendem Bild des hochgesteckten Turbans mit Gucci-Tuch und Burberry- Mantel einhergehen. Es entsteht eine neue Mode-Linie – die durchaus auffallen will.
Da werden nun, wie auf einer türkischen Hochzeit, hunderte (und keineswegs bedürftige) Menschen zum Fastenbrechen eingeladen und es artet zu einem Volksfest in Zelten und Moscheen und deren Vorplätzen aus.
Deutsche Mandatsträger sind natürlich gerngesehene Gäste in diesem Reigen, die dabei das große Reservoir potentieller Wählerstimmen zählen und dem Einladenden Renommee und Anerkennung bringen sollen.
Verstehen will man das alles gar nicht, dabei sein ist alles und dabei die „fürsorgliche“ Akzeptanz des Andersgläubigen reklamieren. Man zeigt sich weltoffen und verständnisvoll.
Dass der Islam aber nicht zu Deutschland gehört wird dennoch unter dem Applaus genau selbiger ohne Rührung und gern aufgenommen.
Der Präsident der Republik hat immer „Recht“.
Diesmal ist es derjenige mit ostdeutschen Wurzeln und einem gewonnen Kampf gegen Unrecht und Unterdrückung.
Deutschland reinigt Vaterland.
Teil I – Die Zarten Anfänge und das ‘starke’ Bündnis.
dİ.e Q.olumne®by Kemal Kilic@WhenWeWereFriends
Photo: WAZ – Mesut Özil und Ilkay Gündogan im Dress der deutschen Fußballnationalmannschaft