Die Germanistin Tuba Sarıca hat ein Buch geschrieben. Es heisst „Ihr Scheinheiligen!: Doppelmoral und falsche Toleranz – Die Parallelwelt der Deutschtürken und die Deutschen“.Da ich ihr Buch nicht gelesen habe, bin ich nicht in der Lage, eine inhaltliche Beurteilung abzugeben. Das ist auch nicht das Ziel meines heutigen Blogs. Was über das Buch geschrieben wurde, macht mir jedenfalls überhaupt keinen schlechten Eindruck und ich kann der jungen Dame nur gratulieren. Weiter so, Tuba Sarıca!
Allerdings möchte ich – und dazu bin ich durchaus in der Lage – bei einem Punkt einen Vorbehalt anbringen. Es betrifft den Titel, respektive einen Ausdruck im Titel, der mir schon immer auf den Geist ging und zwar seit ich diesen zum ersten Mal gehört habe: „Der Deutschtürke“. Es macht übrigens überhaupt keinen Unterschied, ob sich jemand selbst als „Deutschtürke“ bezeichnet. Ich verabscheue diesen Begriff, der eigentlich nichts anderes bedeutet, dass man es nicht mit einem „richtigen“ Deutschen zu tun hat sondern mit einem Türken mit deutschem Pass. Diese Person hat damit vom Staat das Bürgerrecht erhalten, sie gehört aber nicht wirklich dazu.
Das ist ein erheblicher Unterschied zu meiner Person und zu meiner Selbstbeschreibung. Ich bin, wenn mich jemand danach fragt, ein Schweizer. Punkt. Da ich vor rund 25 Jahren auf die türkische Staatsangehörigkeit verzichtet habe, weil ich keine Lust hatte, zweimal Militärdienst zu leisten, bin ich damit kein schweizerisch-türkischer Doppelbürger. So würde ich mich bezeichnen, wenn ich beide Staatsangehörigkeiten noch hätte, was in der Schweiz gang und gäbe ist. Wenn jemand aber auf den Gedanken kommen würde, mich als „Schweizertürke“ zu bezeichnen, würde ich mit dieser Person trotz meiner friedfertigen Natur wohl einen Streit anfangen, natürlich nur verbal, ich bin ja immerhin Schweizer. Ohnehin gibt es diesen Begriff hier gar nicht. Jedenfalls habe ich ihn noch nie gehört.
Selbstverständlich kommt es auch in meinem Alltag manchmal vor, dass es jemand etwas genauer wissen will. „Ja, klar bist du ein Schweizer, man hört es!“ geht es dann weiter. „Aber ursprünglich, woher kommst du ursprünglich her?“ lautet die Anschlussfrage. Vor einiger Zeit habe ich mir eine Geschichte ausgedacht, die ich in solchen Situationen wiederhole: „Aus Schweden!“ (kurze Pause, um das verdutzte Gesicht meines Gegenüber zu geniessen) „Es ist eben so… Meine Mutter, Greta aus Südschweden, hat 9 Monate vor meiner Geburt in Süditalien Urlaub gemacht. Dort hat sie an einem Abend einen gewissen Giovanni kennengelernt, der sie mit Rotwein abgefüllt und dann geschwängert hat. Aus diesem One-Night-Stand bin dann ich hervorgegangen. Eine Abtreibung wäre für meine Mutter nie in Frage gekommen. Und mein Grossvater, Gustav, hatte glücklicherweise viel Geld. Jahre später sind wir wegen den hohen Steuern in Schweden in die Schweiz eingewandert. Du kannst daher „Alter Schwede“ zu mir sagen“.
In der Regel merken die Fragesteller es selbst, dass ich sie verulkt habe und genau dann kommt jeweils meine Auflösung: „Ich bin Schweizer mit türkischen Wurzeln, wobei selbst meine türkischen Wurzeln sehr vielfältig sind“. Dann erkläre ich, weshalb ich mich als Schweizer sehe und fühle. Das ist übrigens auch so und keineswegs vorgespielt. Ich bin hier aufgewachsen, hier zur Schule gegangen, ich habe hier studiert und hier habe ich meine Freunde und Bekannte. Ich arbeite in der Schweiz. Ich liebe dieses Land. Die Türkei hingegen ist mein Herkunftsland. Dort wurde ich geboren und habe damit naturgemäss eine starke Bindung zu ihr. Gewiss habe ich auch eine zusätzliche türkische Identität. Niemand in der Schweiz nimmt mir das übel und vor allem stellt das auch nicht mein Schweizerdasein in Frage.
Genau darin liegt ein wesentlicher Unterschied in der Integrationspolitik der Bundesrepublik und der Schweiz. Während ich mich selbst als Schweizer bezeichne, bezeichnet sich Tuba Sarıca sogar selbst als Deutschtürkin. Gerade als Germanistin sollte sie jedoch wissen, wie wichtig Sprache ist und was ein einziges Wort ausmachen kann.
Nur so nebenbei: Ich bin bei weitem kein Einzelfall, wenn es darum geht, sich trotz eines Migrationshintergrundes zu seiner Schweizer Identität zu bekennen und patriotische Gefühle für dieses wunderschöne Land mitten im Herzen Europas zu haben. Gerne nenne ich aus aktuellem Anlass der Fussball-Weltmeisterschaft ein anderes Beispiel: Gelson Fernandes.
Gelson Fernandes ist Schweizer mit Wurzeln in Kap Verde, der für Eintracht Frankfurt spielt und für meine deutschen Leser ein Begriff sein dürfte, wenn sie sich für die Bundesliga interessieren. Auf Twitter bezeichnet sich der sympathische Spieler als Weltbürger, was er zweifelsohne auch ist. Wir Schweizer lieben Gelson Fernandes nur schon wegen seines Tors, das er an den Weltmeisterschaften im Jahr 2010 in der Vorrunde gegen Spanien schoss, das in diesem Turnier Weltmeister wurde.
Es gibt aber auch unzählige andere Gründe. Er ist einfach ein Goldschatz unser Gelson! Gelson Fernandes hat gestern einen Tweet abgesetzt, wofür ich ihn einmal mehr am liebsten umarmen möchte. Er schreibt:
Ein letztes Beispiel gefällig, um aufzuzeigen, dass zwischen der Schweiz und Deutschland bei diesem Punkt erhebliche Unterschiede bestehen und wie unterschiedlich wir ticken? Wie wäre es mit dieser fetten Schlagzeile in der Schweizer Boulevard-Zeitung Blick, die im besagten Artikel auf die nationalistischen Theateraufführungen eingeht, die vom türkischen Regime veranlasst wurden, bei denen kleine Kinder Tarnuniformen trugen:
„Erdogan lässt Schweizer Kinder Krieg spielen“
Seht ihr, meine lieben Leser aus Deutschland, den gewichtigen Unterschied zwischen meinem Land, der Schweiz, und eurem Land mit den vielen „Deutschtürken“?
Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn ihr genau bei diesem Begriff ansetzen und auf dessen Verwendung von nun an verzichten würdet. Aber natürlich müsst ihr das selbst entscheiden. Es ist nur ein wohlgemeinter Ratschlag aus dem kleinen Land im Süden.