Verzollung 2.0 – Essen und Trinken aus dem Aschenbecher
Wir wollten zur Restauranteröffnung des ersten Ladens einer deutschen Kette, alles an Material, die wir importieren mussten, zeitig dahaben.
Geschirr und Besteck waren mit dem LKW aus Deutschland geliefert worden. Es musste lediglich verzollt werden. Nach der Aufstellung des Zollagenten hatten wir alle Unterlagen komplett. In der Türkei läuft Ein- wie Ausfuhr immer über den Zollagenten. Dazu muss man ihm vorher eine notarielle Vollmacht ausstellen. Den Text geben diese als Vordruck mit und anschließend muss man lediglich zum Notar. Für einen, der diese Vollmacht das erste Mal ausstellt, wird es komisch vorkommen, dass er nicht einem, sondern manchmal Hundert Personen gleichzeitig eine Zollvollmacht ausstellt, denn der Hauptzollagent sorgt vor und all die Personen, die er bei der Verzollung einsetzen könnte, sind auf dieser Vollmacht mit Namen, Vornamen, Geburtsdatum und -Ort aufgeführt. Also ist Misstrauen unbegründet, nur weil man das aus Deutschland nicht kennt.
Ich hatte einen der besten Zollagenten genommen, der auch für sonstige deutsche Unternehmen tätig war und mit dem ich schon über zwanzig Jahre zusammenarbeitete.
Dennoch, so wie man als Türkischstämmiger bei der Ein- und Ausreise mit dem türkischen Pass, besonders wenn man im wehrdienstfähigem Alter ist, im Magen ein mulmiges Gefühl hat, hat man dieses Gefühl auch bei jeder Verzollung.
Tausend Mal gemacht ist nichts passiert und dann hat es Zoom gemacht. Damit rechnet man immer.
Der beste Zollagent ruft an: „Ahmet Bey, die Ware aus Deutschland können wir nicht abziehen, da fehlt ein Gesundheitszeugnis und zwar für den Ascher.“
Gesundheitszeugnis für einen Aschenbecher? Man ist vor Überraschungen nie gewappnet. Bei dem ganzen Geschirr habe ich verstanden, dass dazu ein Gesundheitszeugnis verlangt wurde, aber Aschenbecher, damit konnte man wirklich nicht rechnen. Existierte bei dem Hersteller überhaupt so etwas? Waren diese auf die Idee gekommen, dass man evtl. aus dem Aschenbecher heraus etwas essen oder trinken könnte?
Ich fragte nach. Gab es nicht. Auch mein Vorschlag, die Ascher wegzuschmeißen und nicht mit zu verzollen, brachte uns nicht weiter. „Die Lieferung muss komplett als ein Ganzes verzollt werden“ war die Erklärung dafür.
Der beste Zollagent rief abermals an: „Ahmet Bey, wir sollen nachweisen, dass das Unternehmen in Deutschland existiert und dazu noch eine Unterschriftsbeglaubigung von dem, der die Belege des Herstellers unterschrieben hat.“
Nachweisen, dass das Unternehmen gibt? Die Rede war vom weltgrößten Hersteller von keramischen Produkten, nämlich Villeroy & Boch.
Sicher, der Nachweis war nicht das Problem, sondern wie ich das bei Villeroy & Boch sagen sollte, ohne dass die mich für verrückt hielten. Das Bild allein. Du stehst vor der Mutter aller Hersteller für keramische Erzeugnisse und sagst: „Ich benötige einen Nachweis, dass es Sie gibt“. Dann die Unterschriftsbeglaubigung, die man verlangte. Der Lagerarbeiter oder -Zuständige hatte sicher noch nie eine Unterschriftsbeglaubigung erbringen müssen. In der Türkei ist das üblich. Das fehlende Vertrauen ersetzt man durch Brief und Siegel, auch wenn diese ebenfalls gefälscht sein können.
Sogar in einer Bank kann dir passieren, dass die Bankangestellte, die dich, deinen Personalausweis, deinen Pass alles vor sich hat, sagt: „Ich benötige eine beglaubigte Kopie Ihres Personalausweises (Nüfus Cüzdanı Sureti).“
Ich wusste, dass ein Ascher, eine Unterschriftsbeglaubigung und der Nachweis, dass das Unternehmen existiert, für solch ein großes Unternehmen viel Aufwand bedeuten und sicher, weil man es nicht als wichtig beachtet, lange Zeit in Anspruch nehmen würde.
Also flog ich nach Deutschland und organisierte alles mit den Zuständigen. Alle Unterlagen, bis auf das Gesundheitszeugnis für den Ascher, waren da. Darauf musste man noch einige Wochen warten, mit der Folge, dass wir für die Eröffnung Ersatzgeschirr kaufen mussten.
Dann der Anruf vom Zollagenten: „Ahmet Bey, ich habe vergessen zu sagen, wenn man als Polsterung statt Styropor Stroh verwendet hat, dürfen wir nicht importieren“. Schockstarre!
„Wir (die Türkei) verwenden die strengen Auflagen aus den USA und Stroh darf deshalb nicht als Polsterung in den Verpackungen benutzt werden“. Die Amerikaner müssen nicht ganz dicht sein, dachte ich. Jetzt habe ich vergessen, was es genau war, aber ich glaube, Stroh könnte mit tierischem in Verbindung gekommen sein und das tierische darf nicht mit Geschirr in Verbindung kommen, oder so ähnlich, lautete die Erklärung.
Zum Glück war kein Stroh in den Verpackungen.
Noch spannender war das Zusammenkaufen des Geschirrs. Es musste dem Original ähneln und fast identisch sein. An die Pizzateller kann ich mich noch gut erinnern. Egal, was wir gut fanden, die ausreichende Menge gab es nicht. Dann sagte ich: „Welches ist das meistverkaufte Pizzateller in der Türkei?“
Man zeigte uns den Teller des größten Produzenten der Türkei für keramisches Geschirr. „Geben Sie mir davon Tausend Stück!“ „Ich kann mal fragen, aber so viel bekommen wir nicht zusammen, wenn wir alles zusammenziehen, kommen wir evtl. auf 300.“ Großes Staunen!
Der meistverkaufte Pizzateller der Türkei gab es in Istanbul nur 300 Stück und am Ende waren es nur 170. Bei der Eröffnung mit 1.400 Gästen waren die Spüler gefragt, weil die Geschirrspüler zu befüllen und zu warten, dass hätte nicht funktioniert.
Im Nachhinein gedacht, muss es nicht verwundern, dass die Gastronomie keine großen Mengen an Keramiktellern für Pizza brauchte in der Türkei. Pizza ist dort zumeist ein Fast-Food Produkt und Pappteller oder -Verpackungen tuen es auch.