Der Augenblick war gekommen. Ein letzter überzeugter Blick aus den stahlblauen Augen, ein kleines schmunzeln auf den Lippen…

Zum jeden 29. Oktober feiert man den Jahrestag der Republiksgründung. Dieses Jahr feiert man den 95. Jahrestag. Eigentlich gibt es nichts mehr zu feiern, die Republik existiert nur noch auf dem Papier und in einigen Köpfen. Gut ist es dennoch, dass man gelegentlich Atatürk und seine Taten feiert, damit er nicht vergessen wird, für die Zeit nach Erdogan. Hier eine Zusammenfassung der Ereignisse und wie die Anfänge der Türkei waren. Wer staunen möchte liest bis Ende.

Die Republik
Sie hatten sich eingefunden, seine Vertrauten und Wegbegleiter. Das Land hatten Sie befreit in einem schier aussichtslosen Kampf gegen weit überlegene Gegner.
Wo hätte man anfangen, wo aufhören sollen? In allen Himmelsrichtungen saßen die Alliierten, die das Riesenreich bereits unter sich aufgeteilt hatten und besetzt hielten.
Doch der Kampf hatte mit der Zurückgewinnung der Unabhängigkeit erst angefangen. Die Vision eines vitalen, lebensfähigen und vor allem friedlichen Staates sollte Vollendung finden.
Das Land musste von Grund auf erneuert und radikalen Veränderungen unterzogen werden sollten Väter, Mütter und Söhne, Töchter dieser Nation eine gesunde Zukunft haben.
Sie saßen bei Tisch, ER schaute in die Runde. Seine blauen Augen durchzogen den Raum und er ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen.
ER ließ sich seine Anspannung nicht anmerken, wie auch schon hunderte Male davor. Wie könnte er auch? Alle schauten zu ihm auf und die Hoffnungen einer ganzen Nation lagen auf seiner Seele.
Es gab nichts mehr was den Gang der Zeit hätte aufhalten können – Geschichte wurde geschrieben. Der nächste logische und erforderliche Schritt war nicht mehr aufzuhalten.
Jetzt!
Der Augenblick war gekommen. Ein letzter überzeugter Blick aus den stahlblauen Augen, ein kleines schmunzeln auf den Lippen, die Wangenknochen in die Haut gestemmt – der Körper angespannt, die Sinne geschärft.

„Herrschaften, morgen rufen wir die Republik aus“

Am 29.Oktober 1923 ruft Mustafa Kemal Atatürk die Republik Türkei aus. Morgen ist der 95. Jahrestag.
Beschreibung Atatürks von Ferenc Majoros und Bernd Rill aus : Das Osmanische Reich 1300-1900.
Zitat:“Mustafa Kemal (1881-1938) ist ohne Zweifel einer der grössten Staatsmänner des 20 Jh., der Retter der Türkei vor der Zerstückelung, Urheber eines allumfassenden, radikalen und zugleich ausgewogenen Reformwerks. Atatürk, Vater der Türken, nennt man diesen Mann, dessen poltische Auswirkung von fernem, etwa mit derjenigen, des Heerführers Julius Caesar (100-44 v.Chr.) verglichen werden kann; ein bisschen Robespierre (1758-1794) wegen seines Hanges zur Volkssouveränität.

ATATÜRK GIBT SEIN ZIEL VOR

Im Jahre 1923 besiegelte der Vertrag von Lausanne die Befreiung der Türkei. Die Tage vergingen schnell…

Am 29. Oktober 1923 dann um 20:30 wurde Republik Türkei gegründet und Mustafa Kemal Pascha wird zum ersten Staatspräsidenten der Republik gewählt.

Noch am Abend wird die Gründung der Republik im ganzen Land mit Salutschüssen verkündet.

Am 30. Oktober 1923, also einen Tag nach der Republikgründung schreibt Mustafa Kemal Pascha handschriftlich einen Brief an Ismet Pascha.

Der Text und die Kopie liegen in dem Buch “Atatürk Milliyetçiliği.” (Parola Verlag) vor.

Der Brief zeigt ein osmanisches Erbe, das die Gesichter erröten lässt, und zeigt aus welchen Anfängen die Republik bis zum heutigen Tag gelangt ist.

Atatürk stellt fest, dass man zwar einen großen militärischen Sieg errungen hätte, dennoch würde man noch am Anfang stehen und bei Null anfangen.

Die Feststellungen sind einmalig. Lange Rede kurzer Sinn. Hier ist die Übersetzung des Briefes:

* * *

Mein Lieber Ismet Pascha,

dich stelle ich mir als den ersten Ministerpräsidenten der Republik vor. Halt, sag jetzt nicht sofort ‚Nein‘.

Ich sage dir, warum ich mich für dich entschieden habe.

Uns erwartet wieder ein großer Krieg. Einen Teil davon kennst du als Frontkommandant und Hauptdelegierter bei den Verhandlungen zum Lausanner Vertrag natürlich selber.

Nach deiner Rückkehr aus Lausanne hast du uns selbst berichtet, dass die großen Nationen unsere katastrophale Lage kennen und damit rechnen, dass wir uns bald ergeben werden.

Ich sage dir aber jetzt etwas noch traurigeres und resümiere unsere momentane Lage.

Wir haben ein überschuldetes und krankes Land geerbt.

Wir sind eine Nation, die aus einer bettelarmen Landbevölkerung besteht.

Wir haben kaum Straßen, die über vier Jahreszeiten dauerhaft benutzt werden können. 4.000 km Schiene, wovon uns nicht ein Meter gehört. Außerdem nicht ausreichend. Wir müssen das Land vom Norden bis Süden und vom Westen bis nach Osten zu einer Einheit werden lassen.

Die Marine ist in einem traurigen Zustand.

Wir müssen der Bevölkerung Land und zwei Ochsen geben und diese zu Bauern werden lassen.

Die Konstellation mit den Stämmen, Agas und Scheichs im Osten ist mit der Republik nicht vereinbar.

Wir müssen die Situation in Ordnung bringen und das Volk retten. Die Geldverleiher nehmen das Volk vielerorts aus.

Eigentlich sollen wir ein Agrarland sein, nur das Mehl für unser Brot müssen wir aus dem Ausland kaufen. Die Rinderpest vernichtet unsere Rinderzucht.

Wir haben 337 Ärzte, 434 Gesundheitsbeamte und 136 Hebammen.

Apotheken haben wir nur in den wenigsten Städten.

Die Seuchen töten unsere Menschen. 3 Millionen Menschen haben alleine Trachom (Erkl.: Stark ansteckende Krankheit, lässt die Menschen erblinden).

Malaria-, Typhus-, Tuberkulose-, Syphilis- überall (Erkl. : Hat die Republik gänzlich in der Griff bekommen).

Das sind ernste Probleme.

Das halbe Volk ist krank. Die Kindersterblichkeit liegt bei über 60%. 80% der Bevölkerung lebt auf dem Lande und ein Großteil davon sind Nomaden.

Telefon, Motoren und Maschinen haben wir nicht.

Die Industriegüter kaufen wir alle aus dem Ausland. Sogar die Ziegelsteine müssen wir im Ausland kaufen. Strom gibt es nur in Istanbul und in einigen Vororten von Izmir.

Die Feinde haben 830 Dörfer komplett vernichtet. 114.408 Gebäude wurden in Brand gesteckt. Wir müssen fast das ganze Land nochmals neu aufbauen.

Es gibt alleine über 400.000 Flüchtlinge aus Griechenland.

Unsere Wirtschaft und der Bildungsstand sind mitleiderregend. Wir haben kaum Ökonomen

Nur ¼ der Schulpflichtigen können eine Schule besuchen. Um die Bildung der Bevölkerung hat sich niemand gekümmert.

Eigentlich muss die Republik Menschenmaterial heranschaffen und die Front der Ehrenhaftigkeit muss gestärkt werden.

Die Kulturwerte und Historisches wurden und werden außer Landes geschafft. Die Berichte sind detailliert und geben bittere Wahrheiten Preis.

Gebe diese Informationen auch an die Minister und den Parteivorstand weiter. Sie sollen komplett informiert sein.

Unser Budget und unser Einkommen reichen nicht aus. Ich habe da eine Idee, wie wir aus der wirtschaftlichen Misere herauskommen können. Das erkläre ich dir, wenn wir uns sehen.

Unser Ziel muss die ökonomische Unabhängigkeit und zwar die dauerhafte wirtschaftliche Unabhängigkeit sein.

Die Osmanen haben diese Situation zu spät erkannt und als sie es gemerkt hatten, war es zu spät.

Wir müssen der Republik eine entsprechende Verfassung geben. Um aus dieser Misere herauszukommen haben wir weder ein Beispiel noch einen Erfahrungswert zur Verfügung.

Wir dürfen nicht aufgeben und uns mit vorläufigen Lösungen abgeben. Um das Volk zu retten, die Probleme zu lösen, einen Aufbruch auszulösen, weiterzukommen und zu einem souveränen Volk zu werden, das Niveau des Jahrhunderts zu erreichen, kurz und bündig: mit der Zeit zu gehen. Diese Ideale müssen wir erreichen.

Dieses Ideal vor Augen habend, sind wir hierhergekommen. Wir müssen ab jetzt noch schneller vorwärts schreiten. Den geeigneten Weg hierzu werden wir gemeinsam suchen und finden.

Wir werden für die armen und gefangenen Nationen ein Beispiel abgeben.

Das Schicksal hat diese heilige Verantwortung unserer Generation auferlegt.

Ich wollte die Schwere und die Ehre dieses Auftrages mit dir teilen.

Allah möge uns beistehen !

Bei der ersten offiziellen Volkszählung von 1927 betrug die Einwohnerzahl der Türkei 13,6 Millionen.

Kaltstart X - Das Buch von Ahmet Refii Dener

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