Die meisten jungen Türken sind Frilensır, oder auf Englisch “Freelancer”

Auch wenn jemand in der Türkei kein Wort Englisch spricht, so kennt er das Wort „Freelancer“. Denn um nicht arbeitslos zu sein, entscheiden sich, zumeist junge Menschen zum „Freelancer-Dasein“, oder lassen sich notgedrungen dahin drängen und gehören damit automatisch zu den Ausgebeuteten.

Sie dürfen unter Leistungsdruck und Preiskampf Dienste verrichten, die so günstig sonst nicht zu bekommen wären. Es geht aber ums Überleben. Ich brauchte einen TexterIn und suchte auf dem Portal, wo sich Freelancer in Scharen anbieten, nach jemand geeignetem. Da Leistungsbewertungen vorhanden waren, kann man nichts falsch machen, dachte ich.

Mein Text bestand aus knapp Zehntausend Zeichen. Meine Wahl fiel auf eine 28-Jährige aus Ankara. Als sie mir den Preis von 20 TL nannte, musste ich glatt nochmals eine Bestätigung einholen. So günstig? Mein nochmaliges Fragen machte sie unsicher und sofort sagte sie „Ich kann es auch für 10 TL machen“.

Irgendwie war mein Text auf einmal nebensächlich und ich wollte mehr über sie erfahren. Die Distanz, dass ich in Deutschland war, machte es möglich, dass sie sich öffnete. Sie hatte Kunst studiert und war seit dem Abschluss vor fünf Jahren arbeitslos. Kunst studiert man in der Türkei, um sicher zu gehen, dass man auf Lebenszeit arbeitslos ist. Da bleibt einem nur das Freelancertum übrig. Auf dem Portal würde sie mit anderen Hunderttausenden viele Dienste anbieten. Logoerstellung, technisches Zeichnen, Korrektorat u.a. Ich müsse die Leistung zuerst auf dem Portal bezahlen, erst dann könnte sie aktiv werden, sagte sie. 30% der Summe würde an das Portal als Vermittlerprovision fließen. Nun, die 10 TL, die sie am Ende verlangte, sind keine zwei Euro.

Ich habe ihr den Auftrag erteilt und war fest entschlossen, mehr zu bezahlen. Das Ergebnis war jedoch nur mittelprächtig, aber dennoch habe ich mich mit Kritik zurückgehalten, denn die zwanzig Bewertungen, die sie durch die letzten Jahre bekommen hatte, sagten etwas anderes aus. Alle durchweg positiv. Anscheinend waren die Auftraggeber Analphabeten, denn sie war in Türkisch wirklich schlecht. Ich fragte sie, wie es denn mit Aufträgen ausschaue auf so einem Portal. In dem Monat war ich der erste Kunde und wir hatten den 27. des Monats. Ich war verwirrt. Auf der einen Seite Mitleid, unter welchen Verhältnissen die Menschen zu kämpfen hatten, auf der anderen Seite, dass man mit schlechten Kenntnissen und fehlenden Erfahrungen miserables abliefern und Geld verdienen kann. So ist das, wenn alle mit Mittelmaß sich zufriedengeben. Dienstleister, wie Auftraggeber. Da bleibt die Qualität, das A und O unserer Zeit, leider auf der Strecke.

Das Portal der Freelancer ist www.bionluk.com (übersetzt heißt es: “Für einen Zehner”).

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