Die Feiertage der Nachbarn – Ohne Quellenangabe!
Kindheitserinnerungen. Meine heutige Kolumne aus dem Tagesspiegel. Immer wenn ein Beitrag von mir einem Erdogan-Anhänger nicht passt, kommt der Satz: „Wo ist die Quellenangabe?“ Das passiert auch, wenn ich Anekdoten aus meinem Leben erzähle. „Warum hast du die Quelle nicht genannt?“ Junge, ich bin die Quelle, merkst du nicht, wie es aus mir raussprudelt?
Wir unterhielten uns über unterdrückte Andersgläubige und sonstige ethnische Gruppen in der Türkei. Da fiel mir eine frühere Begebenheit ein, die genau das Gegenteil dessen zeigt, worüber wir erzählten. Als ich ein kleiner Junge war und wir in Istanbul lebten, schrieb meine Mutter die christlichen, jüdischen, armenischen und griechischen Feiertage für das kommende Jahr schön säuberlich auf einen Zettel. Um die Feiertage in Erfahrung zu bringen, befragte sie unsere Nachbarn. Mit einer Reißzwecke wurde der Zettel am Fensterrahmen der Küche befestigt.
Stand ein Feiertag unserer Nachbarn an, die eine andere Konfession hatten, besorgten wir eine Schachtel Schokolade. Wir Kinder zogen unsere feinsten Sachen an und auch unsere Eltern waren dem Anlass entsprechend gekleidet. Meist besuchten wir die Nachbarn in Rudeln: Tanten, Onkel, Oma, Opa, alle waren dabei.
Würden heute in der Türkei so viele Menschen vor der Tür einer armenischen oder jüdischen Familie erscheinen, würden die Bewohner die Wohnung wahrscheinlich verbarrikadieren oder den Hinterausgang nehmen und abhauen. Andere Zeiten eben.
Da wir damals die Schuhe – wie in der Türkei üblich – an der Wohnungstür auszogen, kam ich mir ziemlich nackt vor. Wozu die schicken Sachen anziehen, wenn man dann am Ende mit den Socken dasteht? Besonders Männer mit Anzug, sehen ganz ulkig aus, wenn sie in voller Montur aber mit Socken dastehen. Setzt du auf Charisma, darfst du die Schuhe nicht ausziehen!
Es waren schöne Zeiten, in denen die Menschen sich noch herzlich begegneten. Sicher gab es Ecken im Land, wo das anders war, aber so lief es bei den meisten Istanbuler Familien. Wir begegneten uns auf Augenhöhe. Während wir zu Besuch bei unseren jüdischen Nachbarn waren, ich mit Izhak und Stella im Garten spielte und um das Haus lief, waren wir die glücklichsten Kinder. Wir Kinder merkten es nicht, aber irgendwie müssen die Zeiten für unsere Nachbarn rauer geworden sein. Zuerst zogen unsere Freunde weg, dann verließ uns unsere Stadt. Das Grün Istanbuls musste dem Beton Platz machen. Es war nicht mehr unser Istanbul, wie wir es kannten.