Befiehl, mein Vorsitzender!

Meine Kolumne von heute (TAGESSPIEGEL / Weltspiegel). Über die türkische Republik der Baschkans.
Başkan wird Baschkan ausgesprochen und bedeutet auf deutsch Vorstand, Präsident, Vorsitzender, Vorsteher, Obmann, Chef, eigentlich alles, was einen vom Status her mächtiger macht, als den, der das Wort ausspricht.
Derjenige, der Baschkan genannt wird, hebt in diesem Moment unbemerkt leicht ab, auch wenn er sich schon vorher wichtig vorkam. Die IHK von Ankara hat 2003 die Zahl der Baschkans in der Türkei ermittelt. Damals hatte die Türkei 66 Millionen Einwohner und es gab – man sollte es nicht für möglich halten – sechs Millionen Baschkans. Mehr Häuptlinge als Krieger.
Das fängt schon in der Grundschule an. Wird man zum Klassensprecher gewählt, ist man ein Baschkan. „Wer ist der Baschkan dieser Klasse?“, heißt es dann. Wenn du in der Öffentlichkeit – egal von wem – auf einmal „Baschkan“ genannt wirst, werden alle Menschen hellhörig. Das muss eine wichtige Person sein, denken sie. Bei einem Hotelaufenthalt in Istanbul liefen die Hotelangestellten hektisch hin und her. Ich fragte den Herrn an der Rezeption, was los wäre. „Der Baschkan kommt gleich!“ Gerade als er mir sagen wollte, was für eine Sorte von Baschkan, betrat dieser das Hotel. Die meisten knöpften ihre Anzüge zu und nahmen eine gebückte Haltung an. Als wollte jeder sagen: „Wer bin ich denn schon, neben dem Baschkan?“ Als dieser dann mit seinem Gefolge in den Aufzügen verschwand, erfuhr ich mehr: Es war der Präsident des Fußballvereins Yenibosna aus der zweiten Amateurliga Istanbuls. Als ich ihn wieder sah, suchte ich das Gespräch: „Baschkan, einen Moment bitte!“ Ich merkte, wie er mich taxierte. Ich fragte ihn, wie es ihm gehe und wünschte seiner Mannschaft viel Erfolg. Das schien Eindruck auf die Hotelbelegschaft gemacht zu haben. Fortan nannte man mich auch „Baschkan“.
Witzig ist, warum der damalige IHK- Präsident von Ankara diese Studie machen ließ: Während einer Sitzung rief einer „Baschkan!“ und fünf Personen im Raum antworteten: „Ja bitte?“ Da wäre ihm erst so richtig bewusst geworden, dass die Anzahl der Baschkans im Land inflationär sein müsse.
Als ich einmal in Alanya auf dem Markt einkaufen war, nannten mich alle Marktleute „Baschkan“. Ich fragte einen von ihnen, warum er mich so nennen würde. „Gefühlt bist du der Baschkan, so selbstsicher wie du gehst“, antwortete er. Für einen Moment war ich dazu geneigt, vom Boden abzuheben. Doch die schweren Einkaufstaschen hinderten mich daran.
