Boombranche Gefängnisbau – Über radikale türkische Lösungen

Meine TAGESSPIEGEL Kolumne von heute (Kultur / Weltspiegel).

Ihr werdet staunen, wenn ihr hört, wie viele Gefängnisse seit 2006 in der Türkei gebaut wurden. Bezeichnend ist, dass es erst nach 2006 losging. 2004 nämlich wurde Herr Erdogan zum „Europäer des Jahres“ gekürt. Den Preis übergab der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder. Das hallte sicher noch nach… Deshalb begann man erst 2006 mit dem Gefängnisbau. Seither wurden 166 neue Gefängnisse gebaut. Die Gesamtzahl heute: 396.

Im Oktober vergangenen Jahres teilte der Justizminister mit, dass 260 000 Menschen in türkischen Gefängnissen einsitzen. Wie viele in den vergangenen sechs Monaten hinzugekommen sind, weiß ich nicht. Sicher nicht wenige. Diese Einschätzung beruht auf der Tatsache, dass derzeit noch 91 Gefängnisse im Bau sind.

Fast könnte man von einer Art Wirtschaftsförderung für die Baubranche sprechen – würden nicht nur drei Unternehmer aus den Seilschaften profitieren. Wie bei allen türkischen Mega-Bauten. Interessant ist auch, dass die Hälfte der Gefängnisneubauten von den Insassen selbst errichtet werden. Das Projekt könnte heißen: „Ich baue mir mein Gefängnis selbst“.

Der Generaldirektor der türkischen Gefängnisse sagte vor dem Parlament, dass die neuen Gefängnisse alle bisherigen Standards sprengen und fünf-Sterne-Qualität anbieten würden. Da werden sich die neuen Häftlinge aber mächtig freuen.

Wenn ihr denkt, damit ist Ende, irrt ihr euch gewaltig. 102 weitere Gefängnisse sollen bis 2023, dem 100. Jahrestag der Republik, fertiggestellt werden. So können immer mehr Menschen das Jubiläum der Republik im Gefängnis begehen.

Die Regierung schlägt somit drei Fliegen mit einer Klappe. Zufriedene AKPler, die über die Bauunternehmen und Betreiber, Gelder in die eigenen Taschen spülen, Andersdenkende werden aus der Öffentlichkeit wegradiert und zufriedenen Häftlinge genießen fünf-Sterne-Standards.

Die Künstler, die bislang schwiegen, wurden nach dem Erfolg des rechtmäßig gewählten OB’s von Istanbul, Imamoglu, so übermütig, dass sie den Hashtag #HerSeyCokGüzelOlacak (#AllesWirdSehrSchön) erfanden und in den Sozialen Medien teilten. Nun verlieren sie einer nach dem anderen ihre Rollen und ihre Fernsehsendungen werden abgesetzt.

Mit der Entscheidung die OB-Wahlen in Istanbul zu wiederholen, hat sich der Alleinherrscher selbst ins Knie geschossen. Der Haken an der Sache ist, mit dieser Verletzung kann er – wildgeworden und brutal – noch ewig an der Macht bleiben.

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