Er war mein netter Nachbar

Bartolomeos I. Foto: epd-Bild

Auf dem Foto seht Ihr Bartholomeos I., der mit dem bürgerlichen Namen Dimitrios Archondonis heißt. Er ist 1940 in einem Dorf in Çanakkale (Dardanellen/Türkei) geboren. Seit 1991 ist er griechisch-orthodoxer Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel (nicht aufregen, so ist sein Titel) mit Sitz in Istanbul. Der Patriarchenstuhl von Konstantinopel ist der Erste und somit sein Inhaber Primus inter pares („Erster unter Gleichen“) unter den anderen Oberhäuptern autokephaler Kirchen orthodoxer Christen in aller Welt.

Wie ich auf Bartholomeos I. komme ist schnell erklärt. Zeige ich mich mit einem Juden, oder trete ich für Israel ein, oder schreibe ich nur „Wehret den Anfängen!“ bin ich „Scheiß Jude“ oder „Judenfreund“. Wer „Judenfreund“ als Schimpfwort versteht und mich damit erniedrigen möchte, der irrt sich gewaltig. So bin ich nun mal. Ich begegne allen Menschen auf Augenhöhe und mache keine Unterschiede, solange sie für die Demokratie und die Menschenrechte einstehen.

Warum ich mit Bartholomeos I. loslegte möchte ich Euch erzählen. Als ich in Istanbul im Stadtteil Moda lebte, war er mein Nachbar. Wenn man von seinem Status ausgeht ist das so, als ob einer sagen würde, dass er der Nachbar vom Papst im Vatikan ist. Er wohnte direkt im Nebenhaus und nicht in einem Palast, sondern in einer gewöhnlichen Etagenwohnung. Für die Kinder und für uns war er wegen seiner Art Barto. Ja, wir nannten ihn liebevoll Barto. Ein wundervoller Mensch, der sein Lächeln immer dabei hatte und selten ein ernstes Gesicht machte (Bei der Foto Suche merke ich, dass er bei Andachten ernst bleibt). Mit ihm konnte man so ziemlich über alles reden. In unserem Stadtteil ist mir niemand begegnet, der Barto nicht mochte. Genauso waren seine Sicherheitsleute. Menschen wie Du und ich. Oder besser gesagt, wie ich, denn die Masse macht schon krasse Unterschiede, wer woher kommt, woran wer glaubt und welche Hautfarbe er/sie hat.

Ein Schlüsselerlebnis hatte ich 2007 als ich in meinem Büro in Istanbul saß und auf dem großen Bildschirm die Nachrichten mir anschauen wollte. Da lag er, leblos auf dem kalten Bürgersteig, mit dem Gesicht zum Boden, so wie kein Mensch es verdient hat. Sofort drehte ich die Lautstärke auf. Es handelte sich um Hrant Dink, ein Armenier mit türkischer Staatsbürgerschaft, Journalist und einer der Herausgeber der in Istanbul erscheinenden zweisprachigen Wochenzeitung Agos. Der von nationalistischen Kräften in Gesellschaft und Justiz jahrelang verfolgte Redakteur, war auf offener Straße erschossen worden. Ich kannte ihn nur oberflächlich aus dem Fernsehen und doch traf es mich, zumal er erst kurz zuvor in einem Interview abermals versöhnliche Worte fand, wie die Türken und Armenier friedlich zusammenleben könnten. Ich hatte mich von dem Schock noch nicht erholt, da sagte ein potentieller Geschäftspartner, der mit im Büro saß: „Endlich ist der Kerl verreckt!“ Als ich das hörte bin ich aufgestanden, entschuldigte mich kurz und bin gegangen. Raus, um nach Luft zu schnappen. Als ich nach fünf Minuten zurückkam fragte ich den Mann, ob er Hrant Dink kannte. Ihr kommt nicht darauf, was er antwortete: „Entschuldigung, sind Sie etwa Armenier?“ Das muss man sich mal vorstellen, wie der Mann drauf sein musste, dass er glaubte, dass nur ein Armenier der Freund eines Armeniers sein kann.

Wir haben über nichts mehr gesprochen. Ich bat ihn, zu gehen. Der Tag war für mich gelaufen.

Mach bitte eine Aufstellung! Schreib auf ein Blatt Papier, welche Vorteile Du hättest, wenn in Deinem Land, keine Juden und Armenier, oder aber auch Aleviten, Sunniten, Schiiten, Syrer, Türken u.a. geben würde. Wärst Du weiter als Du es jetzt bist?

Jetzt nimm bitte noch einen Zettel, oder nein, Du kannst weithin das obige, Blatt nutzen. Es sollte noch viel frei sein. Die zweite Aufstellung ist für meine AKP-Anhänger-Freunde gedacht. Jetzt nutze Du diesen Freiraum und notiere, welche Vorteile Du gewonnen hast, seitdem der Alleinherrscher alles Tafelgold und Silberbesteck, all die Fabriken, die ein Einkommen für Dein Land bedeuteten, verschleudert hat und in Megaprojekte  ausgegeben hat, an denen nur die anderen, eine handvoll Unternehmer, also nicht Deine Verwandten, verdienen? Jede neue Brücke, der Flughafen, die Straßen, haben eine Nutzungs-Garantie. Sollen im Jahr X-Autos nicht durch den Tunnel, über die Straßen oder die Brücken fahren, muss die Differenz der Staat, also das Volk, Deine Verwandten zahlen.  Steht jetzt mehr auf dem Zettel?

Leute bleibt locker, das Land gibt jedem genug. Wer etwas Grips hat, findet einen Job und sein Auskommen. Ausnahmen gibt es natürlich. Ich muss z. B. darum kämpfen, weil ich immer wieder rausstelle, dass wir alle gleich sind und der Freund derer bin, die von bestimmten Gruppierungen nicht gemocht bzw. sinnlos gehasst werden. Von so einem hält man sich besser fern, denken viele, obwohl sie angeblich für unsere Werte und die Menschenrechte sind. Wie das?

Kaltstart X - Das Buch von Ahmet Refii Dener

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