Obst aus dem Kofferraum

Ob Blogartikel vom mir in den Medien landen, entscheidet Ihr. Dieser Artikel kam sehr gut an. Aus dem Tagesspiegel von heute.

Los gehts!

Es gibt sehr viele Straßenverkäufer in der Türkei, die ihr Business auf Rädern vor sich herschieben. Eigentlich ist diese Art des Verkaufens auf der Straße verboten – aber es geht ums Überleben. Da nimmt man das Risiko, dass man erwischt wird und sein Auskommen verliert, auf sich.

Immer wenn ich geschäftlich in Istanbul unterwegs war und mich auf der anatolischen Seite einquartieren wollte, wählte ich ein Hotel direkt an der Hafenstraße. Auch wenn es sich auf dieser Straße um Zwei- bis Drei-Sterne-Herbergen handelt, ist das Panorama jeweils fünf Sterne. Der Bosporus in seiner ganzen Pracht liegt euch zu Füßen: gegenüber die Blaue Moschee, die Hagia Sophia, der Topkapi Palast, der Containerhafen und der Hauptbahnhof Haydarpascha. Und wenn man direkt nach unten schaut, die Betriebsamkeit des Stadtteils Kadiköy. Als eines Nachts, in der Hitze des August, die Klimaanlage versagte, musste ich das Fenster aufmachen. Jetzt erst merkte ich, welche Geräuschkulisse auf der Straße herrschte. Gegen drei Uhr in der Nacht gab ich die Hoffnung auf, dass es leiser werden würde. Nein, Massen waren nicht mehr auf der Straße. Aber andere Geräuschemacher. Taxi und Sammeltaxifahrer reparierten ihre Fahrzeuge oder reinigten sie in der Zeit, in der sie auf Kundschaft warteten. Einer sagte: „Wenn ich in der großen Staatslotterie bei der Silvesterziehung gewinne, kaufe ich mir eine Mercedes-Limousine und verkaufe dann vom Kofferraum aus.“ So müde ich war, musste ich dennoch aufstehen und schauen, wer den Spruch losgelassen hatte. Es war ein Straßenverkäufer, der Obst verkaufte. Wenn er also die Millionen gewinnen würde, würde er nicht aufhören zu arbeiten, nein, er würde der Vorreiter des Straßenverkaufs 2.0 werden und vom Kofferraum eines Mercedes aus sein Obst verkaufen.

Meine Neugier war gestillt. So legte ich mich um 4 Uhr wieder hin und startete einen neuerlichen Versuch, etwas Schlaf zu bekommen. Dann aber kreiste ich um die Frage: Kann man nachts Obst verkaufen? Ich schrieb die Nacht als „Verlustnacht“ ab, zog mich wieder an und ging runter zum Straßenverkäufer. Wir unterhielten uns so ziemlich über alles. Sein Wägelchen war eigentlich ein Familienunternehmen. Sein Bruder und er teilten sich den Tag und jeder von ihnen arbeitete zwölf Stunden. 7/24 und 24/365 waren sie unterwegs. Wisst ihr, dass ein Türke niemals als Angestellter aus dem Leben scheiden möchte? Kann man das als Deutscher mit German Angst verstehen?

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