Vor, während und nach dem Coronavirus: Ein Interview mit mir

Ich habe einen Freiberufler interviewen wollen, zumal viele davon vom Coronavirus hart betroffen sind. Lange musste ich nicht suchen, denn ich entschied mich dafür, mich selbst zu interviewen.
ichmeinsgut.de: Hallo Ahmet, wie sieht es bei dir aus, zu Zeiten von Coronavirus?
ARD: Wie soll es aussehen, bescheiden bis miserabel würde ich sagen, zumal es davor auch nicht so prickelnd war. Die schlechten Zeiten muss ich seit dem Coronavirus als „die Guten“ bezeichnen. Siehe da, es geht noch schlimmer.
ichmeinsgut.de: Wie hast du dich nach deiner Ausreise aus der Türkei über Wasser gehalten?
ARD: Über Wasser gehalten? Das ist eine Vermutung. Nur das eine Ende meines Beatmungsschlauches reichte über Wasser, ich war immer unten. Ein Türkei-Berater von deutschen und Schweizer Unternehmen, der nicht mehr in die Türkei kann. Meine Haupteinnahmequelle war die große türkische Airline, die in der von mir vertretenen Wirtschaftsmagazin schon die letzten 15 Jahre immer Werbung schaltete und das nicht zu knapp. In guten Zeiten machten die Provisionen vielleicht 5% meiner Gesamteinnahmen aus, aber nach der Ausreise aus der Türkei schon 80%. Dass die derzeit nicht mehr werben müssen, versteht sich von selbst. Also fallen diese weg. Dr. Grey würde das mit dem Riss der Aorta vergleichen. Dann habe ich Storytelling- und Lesungstermine gehabt und darüber mein Buch verkauft. Das geht jetzt auch nicht mehr. Also kann ich wieder grübeln, wie es weitergehen wird. Den Atmungsschlauch halte ich mittlerweile fest mit beiden Händen.
ichmeinsgut.de: Warum hast du nicht mit einer Anstellung versucht?
ARD: Klar habe ich das. Funktioniert nur nicht. Was ich nicht wusste, hat man in Deutschland festgestellt. Ich bin sechzig Jahre alt. Vergisst man mein Alter, weil ich mir das nicht anmerken lasse, hat es mit dem Schubladendenken in Deutschland zu tun. Wer sein Leben lang selbständig war, akzeptiert keine Anweisungen von oben, ist nicht teamfähig und hat er mal eine gute Idee parat, geht er. So denken die Leute, die das zu verantworten haben. Noch als ich in der Türkei war, bekam ich nach einem Termin mit dem Head-Hunter die Zusage als Vorstand eines Maschinen- und Anlagenbauers. Er saß noch vor mir und ich stellte ihm die Frage: „Haben Sie mein CV gelesen?“ „Was meinen Sie damit, natürlich habe ich das!“ „Dann ist ja gut!“ sagte ich. Er schaute nochmals drauf und sagte: „Herr Dr. Dener, Sie waren ja nur selbständig! Das kann ich den Gesellschaftern unmöglich verkaufen.“ Mir steht meine große Erfahrung im Wege und die Tatsache, dass man mich nur als Türkei-Berater und -Analysten sieht. Das sagt das Internet. Dass ich breiter aufgestellt bin und bei vielen Projekten mitgewirkt habe, fällt nicht auf.
ichmeinsgut.de: Wie sieht es mit den Aktivitäten aus, die du gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, Frauenrechte etc. durchführst? Wird so etwas nicht gefördert, denn schließlich gibt es viele Stiftungen, die so etwas fördern. Auch hast du ein Netzwerk an Unternehmen, die du dir durch die Jahre erarbeitet hast. Tun die nicht was in den Topf?
ARD: Angeblich stehen die genannten alle für das, wofür ich auch stehe, nur haben sie Angst, dass sie mit Erdogan in Verbindung gebracht werden. So stehe ich ziemlich alleine da und habe nicht eine Institution oder Unternehmen, die sich traut, eines meiner Vorhaben finanziell zu unterstützen. Das Schlimme dabei ist, dass die AKP Anhänger denken, weil ich Erdogan und seine Folkloreequipe mit den Ministern kritisiere, dass ich von der Gegenseite bezahlt werde. Die Frage ist: „Welche Gegenseite?“ Durch Schweigen, Dulden und Geld unterstützten alle Erdogans Machenschaften gegen die Menschlichkeit.
ichmeinsgut.de: Wie geht es jetzt weiter?
ARD: Es war glaube ich am Dienstag. 17 Uhr sagte ich den Hausbewohnern, dass ich mich für eine Stunde hinlege. Mache ich sonst nie, zumal ich jede Minute, die ich im Ruhezustand verbringe, als eine verpasste Chance mehr betrachte, die ich hätte angehen können. Dabei habe ich nie was verpasst. Ich schlief vor lautem Schlafdefizit, drei Stunden lang. Wie ich wach war, war ich Fit wie ein Turnschuh. Das Wundersame passierte in der Nacht. Als ich mich um Mitternacht hinlegte, schlief ich bis 8 Uhr. Dabei stehe ich spätestens um 6 Uhr auf und bin dabei Fit und hellwach. Sofort kam mein Sohn und fragte, was mit mir los wäre. „Ich habe zu Ende gedacht, ausgedacht, keine Gedanken mehr im Topf, vielleicht deshalb, weil ich mir über nichts mehr Gedanken machen muss, konnte ich so schön schlafen.“
„Weißt du jetzt, wie du die Probleme in den Griff bekommst?“ fragte er. „Nein, aber ich weiß jetzt, dass ich sie so nicht lösen kann. Das war es wohl, was mir die Last wegnahm und mich schlafen ließ.“ Tatsächlich hat er die Ironie dahinter verstanden und sagte: „Du mit deinen Witzen!“ Unbemerkt hatte er auf einen wunden Punkt gedrückt. Ich kann nicht ernst sein, immer lasse ich etwas Ironie einfließen, um meinem Gegenüber ein Lachen, aber zumindest ein Schmunzeln zu entlocken. So passiert es, dass etwas bitter Ernstes, was mich persönlich betrifft, nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit rüberkommt und als Spaß aufgefasst wird. „Wie ernst kann es um ihn stehen, wenn er so daherredet?“ fragen sich die Leute bestimmt. Im Geschäftsleben kommt es als „Auflockerung der Situation“ rüber und wird gerne akzeptiert.
ichmeinsgut.de: Ich glaube die Frage muss ich wiederholen, wie geht es jetzt weiter?
ARD: Stimmt, das war die Frage. Zuerst einmal steht ein riesiges Fragezeichen im Raum. Normalerweise grübele ich ab 10 Tage vor Monatsende, aber dieses Mal fing ich schon zum Monatsanfang damit an, mir Gedanken über den Folgemonat zu machen. Ich habe ein Projekt und möchte eine Studie machen, dafür muss ich ab heute anfangen und Geldgeber suchen. Das Projekt wird ca. 8-12 Monate dauern. Schaffe ich die Geldgeber zu finden, könnte ich das Jahr vielleicht so über die Runden bekommen. Dem Söder habe ein Antrag auf Soforthilfe geschickt. Nun gut, wenn er „Ja“ sagt, rette ich mich damit bis Ende April. Dann muss aber alles passen. Du kennst mich, aufgeben gilt nicht, immer weiter. Ich muss jetzt aufpassen, dass ich kein Negativeinträge wegen Nichtzahlung von irgendwelchen Raten und sonstigen Zahlungsverpflichtungen bekomme. Damit werden aber wahrscheinlich die meisten zu kämpfen haben.
ichmeinsgut.de: Was denkst du, wie es weitergeht mit dem Coronavirus?
ARD: Ich denke, dass wir erst am Anfang stehen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass das Coronavirus, wie die Grippe, ein Teil von unserem Leben werden könnte. Schließlich bekommen wir den Grippevirus auch nicht weg und finden uns mit den Zehntausenden von Toten jedes Jahr ab. Die Wirtschaft hat jetzt schon großen Schaden genommen und ich denke, das dicke Ende kommt noch. Millionen von Arbeitslosen werden die Folge sein. Die Staaten können ab einem Zeitpunkt nur noch Geld drucken, weil niemand mehr Steuern zahlt. Ich denke, wir werden Zustände erleben, die wir uns heute noch nicht ausmalen können. Das alles davon ausgehend, dass diese Phase, in der wir uns befinden, noch lange andauert. Ich denke, dass Deutschland einige Zeit die Situation aussitzen kann, andere Länder werden schneller mit ihrem Latein am Ende sein.
ichmeinsgut.de: Wie siehst du die Situation in der Türkei?
ARD: Die Türkei hat den Virus seit 18 Jahren (ErdV-18) im Lande, jetzt kommt noch das Coronavirus hinzu. Die Wirtschaft lag schon am Boden, nur durfte man darüber im Lande nicht berichten, was die Lage erträglicher machte, aber nur in den Köpfen. Wer als Arbeitsloser ohne Arbeitslosengeld die Familie durchbringen muss, kann davon erzählen, wie es der Wirtschaft geht. Jeden Monat dürfen die Türken einmal lachen, dann wenn die Inflationsrate bekanntgegeben wird. So verarscht man das türkische Volk seit Jahren, anders kann man es nicht ausdrücken und die lassen es mit sich machen. Besser wissen es nur die Deutschtürken, die Erdogan-Anhimmler, die ebenfalls zu der Folkloregruppe von Erdogan zu zählen sind, die ihm alles abkaufen, ihn hochleben lassen und sich von ihm immer noch Gutes für die Türkei erhoffen. Um es nochmals zu wiederholen, die Türkei wird seit Jahren nicht mehr regiert, sondern nur noch verwaltet.
ichmeinsgut.de: Was sagst du zum Tourismus?
ARD: Aus und vorbei! Dieses Jahr wird es kein Tourismus geben. Ob eine Phase eingeläutet wird, wo wenigstens Inlandstourismus erlaubt sein wird, muss man abwarten, aber dass man in fremde Länder fliegt, kann ich mir dieses Jahr beim besten Willen nicht mehr vorstellen. Außerdem, die Türkei wird das Coronavirus viel härter erleben als andere Länder, zumal dort die Vorkehrungen viel später getroffen wurden und diese stärker missachtet werden, wie z.B. in Deutschland. Die Deutschen geben jedes Jahr an die 100 Milliarden Euro für Urlaub aus. Diesen Betrag haben sie derzeit noch in der Tasche. Ich denke, es ist vernünftiger, wenn man diesen Betrag zum Überleben ausgibt, als für den Urlaub. Was die einen noch in der Tasche haben, wird den anderen fehlen. All die Angestellten, die mit Tourismus zu tun haben, können nur eine gewisse Zeit noch beschäftigt werden. Dann ist es aus!
ichmeinsgut.de: Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast!
ARD: Bist du blöd, oder was? Du redest schon die ganze Zeit mit dir.
