Die Schuhputzer von Istanbul u.a.

In Istanbul lebte ich im Stadtteil Moda. Zu Fuß waren es 15 Minuten bis zur Anlegestelle der Schiffe, die auf die europäische Seite von Istanbul fuhren. Da die Schiffe alle 30 Minuten fuhren machte ich mich ca. 20 Minuten vor der Abfahrt auf dem Weg. Gemütlich, in Tagträumen versunken, am Bosporus entlang. Die Strecke war außerdem sehr angenehm, weil es immer bergab ging. Im Nachhinein frage ich mich, wie lange ich Richtung Bosporus schaute und wie heftig ich über alles Mögliche dachte, dass es schon nach 2/3 der Strecke ersichtlich war, dass ich das Schiff nur knapp bekommen würde, wenn ich einen Gang zulegte. Das war aber nicht mein Ding. Denn es gab immer genug zu genießen, also konnte ich den nächsten nehmen.

An der Stelle kann ich anbringen, dass Istanbul ein Traum von einer Stadt ist, aber dieses nur den Ausländern, oder Türken, die aus dem Ausland kommen so richtig bewusst ist. Der Einheimische sagt: „Istanbul ist die schönste Stadt der Welt!“ Das ist aber für ihn eine Floskel, die er irgendwo aufgeschnappt hat. Die Stadt riechen, genießen, leben, tun die allerwenigsten von ihnen.

Auf der Rückfahrt. Links Haydarpascha Bahnhof.

Dem verpassten Schiff schaute ich hinterher, als ich noch 3-4 Minuten zu gehen hatte. Kein Problem, denn jetzt standen mehrere Varianten zur Verfügung, entweder konnte ich einen schönen Käsetoast essen, die Schuhe, bei einem der vielen fliegenden oder stationären Schuhputzern putzen lassen, einen Tee mit Simit (Sesamringe) zu mir nehmen und einen Extra für die Möwen unterwegs auf dem Schiff in die Tasche einstecken, oder einfach verträumt den Bosporus und die Betriebsamkeit um mich herum genießen.

 

Zumeist tat ich entweder einiges oder alles davon. Trank ich kein Tee beim Warten, so aber ganz sicher auf dem Schiff, obwohl ich ein Kaffeetrinker bin, gehörte das zum Ritual. Auch wenn ich fast täglich einen Grund fand, mit dem Schiff rüber und zurück zu fahren, so war die innerliche Spannung immer die gleiche. Jedes Mal freute ich mich wie ein kleines Kind drauf. Schon als ich die Wohnung verlassen wollte, kam die Bemerkung von meiner Frau, die sie zumeist einer dritten Person, einer Nachbarin, dem Teegartenbesitzer u.a. sagte: „Er haut wieder ab, angeblich hat er auf der anderen Seite wieder etwas Wichtiges, geschäftliches zu tun.“ Ab und an war es auch geschäftlich. Übrigens hatte ich auf halber Gehstrecke zur Anlegestelle mein Büro, direkt am Bosporus versteht sich. An den meisten Tagen arbeitete ich im Büro, aber immer passierte es, das was Wichtiges anstand, dass ich auf die europäische Seite von Istanbul musste, sei es auch nur zum Köfte-Essen nach Besiktas. Immer dabei meine Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Freund Ali, der sein Büro in Besiktas, unweit der Anlegestelle vor dem Shangri La Hotel, der früheren Produktionstätte der deutschen Marke Schaub-Lorenz hatte. Eine sehr gut bewachte Anlegestelle, zumal 100 Meter weiter das Stadtbüro, eher Residenz von Erdogan den Prächtigen ist. Er belegt dafür einen Teil des Dolmabahce Palastes. Nun gut, ich bin zwar sein Kritiker, aber Istanbul ist glaube ich der einzige gemeinsame Nenner mit ihm. Er liebt die Stadt (auch wenn er es mit Beton verhunzt hat) und würde lieber haben, wenn es die Hauptstadt der Türkei wäre.

Shangri-La Hotel, mit der Anlegestelle davor. Foto: Shangri-La.com

Sorry, gedanklich war ich schon auf der europäischen Seite, aber die Wartephase und die Überfahrt mit dem Schiff, bilden das eigentliche Ritual. Wenn ich mein Käsetoast beim Warten gegessen hatte, wobei das Personal am kleinen Imbissstand immer wusste, dass ich immer eine Scheibe Tomate mit dazu nahm, damit es nicht allzu trocken wird mein Toast, galt es einen guten Platz auf dem Schiff zu ergattern. Ich saß bei der Hinfahrt zum Haydarpascha Bahnhof und dem Containerhafen hin. Istanbul muss man nämlich in alle Richtungen genießen. So war auf der Hinfahrt die asiatische Seite zu genießen und auf der Rückfahrt dann die europäische Seite mit den vielen historischen Bauten, die jeder für sich ein Wahrzeichen von Istanbul bilden. Hatte ich die Schuhe beim Warten auf das Schiff nicht putzen lassen, so freuten sich die eigentlich fliegenden, aber doch stationären Schuhputzer von Besiktas. Obwohl gewöhnlich die Schuhputzer ihren Putzkästen mit der Farbe, Putztüchern und Bürsten huckepack tragen, so hat die Stadt einigen von ihnen, an markanten Stellen der Stadt erlaubt, sich dort fest zu positionieren. Diese lassen ihren Utensilien, inkl. dem Putzkasten Übernacht dort stehen und kommen jeden Morgen zur Arbeit, als ob sie ein Ladenlokal hätten, dabei sitzen sie bei Wind und Wetter, aber auch bei glühender Hitze, im Freien. Übrigens sitzen dann gleich zehn von ihnen nebeneinander. Entweder hat man einen Stammschuhputzer, oder auf gut Glück geht man auf einem, den man sympathisch findet zu. Für mich war immer die reinste Erholung, zuzuschauen, wie sich die Schuhe äußerlich veränderten und wieviel Handwerk und Liebe bei Putzen da einflossen. Auch wenn es für den Schuhputzer Automatismen sind, Danach war es meine Aufgabe, das Werk des Schuhputzers solange in Ehren zu halten und zu wahren, wie möglich. Natürlich wusste ich von jedem einzelnen die Lebensgeschichte. Viele hatten Kinder, die auf die Universitäten der Türkei gingen, alles finanziert vom Schuhputzen. Erstaunlich, wenn man bedachte, dass ein Putz selten mehr als 1 Euro umgerechnet kostete. Bei mir gab es immer ein Trinkgeld dazu. Oftmals war es mir peinlich 100% mehr, also 2 Euro zu bezahlen. „Ich habe nicht passend, behalten Sie den Rest, es ist wieder einmal zu gut geworden.“

Unruhe empfand ich immer, wenn ich eine Tasche dabeihatte. Die Angst, sobald ich die Tasche neben meinem Hocker auf den Boden stellte fürchtete ich, dass einer vorbeirauscht und mir die Tasche entreißt. Bei diesen stationären Schuhputzern kann man auch die Schuhe zur Reparatur dalassen. Oftmals bringen die Büroangestellten, Ladenbesitzer, VerkäuferInnen aus der Umgebung ihre Taschen, Schuhe und Stiefeln vorbei und holen nach der Reparatur auf dem Heimweg wieder ab. Das System funktioniert tadellos.

Vorsicht ist allerdings bei den Pseudo-Schuhputzern geboten!

Diese sind zumeist Kinder und Jugendliche, die bandenmäßig zum Betteln unterwegs sind, einen Schutzputzkasten mit einer braunen und schwarzen Farbe zur Tarnung dabeihaben. Wenn es darauf ankommt, können sie die Schuhe schon mal anders aussehen lassen, aber nicht wie geputzt.

Nicht jeder Schuhputzer, der einen kleinen Schuhputzkasten hat, ist ein Bettler. Bei vielen reicht das Geld für ein StartUp für nicht mehr. Die unterstütze ich dann auch gerne. Foto: breakingnews.com.tr

So, mit dem Freund Ali haben wir Köfte zu Mittag gegessen, anschließend ein Türkisch-Mokka und noch etwas Süßes dazu und schon geht es wieder zurück auf die anatolische Seite. „Ich begleite dich bis zur Anlegestelle“ bedeutet, dass Ali auch nicht unbedingt in Büro möchte. Oftmals haben wir uns noch an einem der Bistros am Hafen bequem gemacht und Bosporus inhaliert. Bei der Rückfahrt saß ich dann rechts vom Schiff draußen. Dolmabahce Palast, Galata-Turm, Topkapi-Palast, Hagia-Sophia, die Blaue Moschee, den unbeschreiblichen Sonnenuntergang und nach einem leichten Knick vom Schiff zur Anlegestelle hin, weit entfernt die Prinzeninseln zu sehen… Das Gefühl kann man nur mit einem Wort beschreiben: Glücklichsein!

Foto: http://kadikoytarihicarsidernegi.com/tag/kadikoy-ta/Die vielen kleinen Restaurants runden den Fischmarkt von Kadiköy ab.

Zuerst ging ich in den Fischmarkt von Kadiköy und kaufte leckeren Fisch. Da mich die Verkäufer mich alle, wegen meiner Redseligkeit kannten, gab es natürlich das Beste vom Besten. Nicht, weil ich unbedingt Fisch essen wollte, sondern eher, weil mir die Atmosphäre gefiel, aßen wir in der Woche 3-4 Mal Fisch. Anschließend ging es zum Ufer. Ich wollte mir nämlich nicht antun, eine Strecke zurück nach Hause zu nehmen, welches nur bergauf ging. So konnte ich am Ufer entlang bis zur Höhe der Wohnung laufen und anschließen vierzig Stufen steigen. Da war ich!

Die erste Frage zuhause war dann: „Und, hast du Spaß gehabt?“ Ja wahrlich, den hatte ich und das immer zu.

Istanbul, alte Liebe rostet nicht.

Kaltstart X - Das Buch von Ahmet Refii Dener

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