Ärmel hoch

Meine Kolumne aus dem Tagesspiegel von heute: Ahmet Refii Dener über unzulängliche Fragestellungen.
Dereinst brachte ich zwei führende IT-Unternehmen aus der Schweiz und der Türkei zusammen. Sie ergänzten sich perfekt und dem Erfolg stand theoretisch wie auch praktisch nichts im Wege. Es war noch die Zeit, in der Erdogan der Prächtige sich beruflich eine Etage tiefer aufhielt und so tat, als säße er noch im Demokratiezug.
Da ich meine Kundschaft gerne an die Hand nehme und in allen Belangen für sie aktiv bin, dachte ich, ein Event beider IT-Unternehmen in Istanbul sei eine gute Idee. Ich hatte einen Finanzguru aus der Schweiz im Auge, den ich gut kannte und der meiner Einladung prompt folgte. Zu dem Event luden wir nur Vorstände und Geschäftsführungen großer Finanzdienstleister aus der Türkei ein, die – wie alle Türken – schon allwissend geboren wurden. Ihr Status machte sie außerdem hochnäsig. Gespannt warteten wir, wie viele Zusagen wir bekommen würden. Siehe da, wir mussten in einen größeren Saal ausweichen – mehr als fünfhundert sagten zu und machten unser Event zu einem großen Erfolg.
Der Guru referierte über „Privat Banking“ und die Bosse aller Bosse krempelten die Ärmel hoch und machten sich wie verrückt Notizen. Da ich mit der Organisation zu sehr beschäftigt war, blieb bei mir nur ein Satz hängen: „Was sind die wichtigsten Kriterien, wenn Sie sich einen Anlageberater für Ihr Vermögen suchen?“ Die überraschende Antwort, auf die keiner der Anwesenden gekommen war: „Der Anlageberater, den Sie sich ausgesucht haben, sollte so jung und gesund sein, dass er Sie überlebt!“ Der Guru erklärte weiter, „stellen Sie sich vor, der Anlageberater verstirbt vor Ihnen und Sie müssen schon wieder auf die Suche nach einem Ersatz gehen“ …
Anschließend sollte es einen Pressetermin mit Wirtschaftsjournalisten geben. Der Guru war nervös, aber ich beruhigte ihn: „In der Türkei finden Sie keinen Journalisten in Freiheit, der sie mit schwierigen Fragen in die Ecke treiben könnte.“
Die Pressemitteilungen waren verteilt und das Wort hatte ein Wirtschaftsjournalist: „Wie finden Sie Istanbul?“ Darauf folgte die Frage: „Was sagen Sie zur türkischen Wirtschaft?“ Diese Frage zu einer Zeit, in der die türkische Wirtschaft fast zweistellig gewachsen war. „Mit der türkischen Wirtschaft habe ich mich noch nie befasst, deshalb kann ich dazu nichts sagen“, lautete die Antwort. Im Anschluss fiel den anwesenden Journalisten nichts mehr ein. Alle Zeitungen druckten die Pressemitteilung eins zu eins. Journalismus in der Türkei? Das war einmal!
