Zum Schluss das Fleisch

Ahmet Refii Dener über türkische Eigenarten – auch gefährliche. Meine Kolumne aus dem Tagesspiegel. Wenn man Kritisches und Corona-Nachrichten meiden möchte, kommt so etwas bei rum.

Legen wir los!

Nun gut, „wasch mich!“ schreibt man auch hier in Deutschland auf verdreckte Fahrzeuge, deshalb möchte ich heute einige andere Gewohnheiten der Türken aufzählen. Leere Flüssigseifenspender werden nicht einfach weggeworfen: Sie werden immer wieder mit Wasser gefüllt, geschüttelt und, solange etwas Schaumiges rauskommt, noch ewige Zeiten benutzt.

Macht man mit knurrendem Magen einen Besuch, fragt die Gastgeberin zumeist: „Hast Du etwas gegessen? Du kannst mitessen.“ „Danke, ich bin satt!“ ist der Klassiker unter den Antworten. Ob es Höflichkeit oder Dummheit ist, weiß ich nicht. Geht eine Glühbirne im Haus kaputt, kommt es selten vor, dass diese durch eine neue ersetzt wird. Oftmals nimmt man eine funktionierende Glühbirne dort weg, wo man sie weniger braucht. Bis mal ein echter Ersatz kommt, kann viel Zeit vergehen.

Wird jemandem ein Gericht vorgesetzt mit Fleisch und Kartoffeln- beziehungsweise Gemüsebeilage, kann man darauf wetten, dass zuerst alles abgegrast wird, bis zum Schluss das Fleisch dran ist. Rechnungen werden grundsätzlich am letzten Tag und dann in bar am Schalter bezahlt. Vorausgesetzt, man hat Geld. Was dieser Tage seltener der Fall ist. Hat man Bares in der Tasche, werden die Geldscheine genommen, die im Aussehen kränkeln und zerrissen sind. Die Person am Schalter nimmt die auch nicht gerne an, aber wenn Du sagst, dass Du sonst nichts hast, muss sie die Scheine akzeptieren.

Ach so, um den oben erwähnten Besuch noch abzuschließen: Wenn die Gäste sich verabschieden wollen, geht der Smalltalk an der Wohnungstür endlos lange weiter. Die Kiosk- und Imbissbesitzer können ein Lied davon singen. Da es in der Türkei oft sonnig und heiß ist, trinkt man die Getränke am liebsten eiskalt. Dürfen Kunden die Getränke aus dem Kühlschrank im Laden selbst herausnehmen, kannst Du sicher sein, dass erst das komplette Fach geleert wird. Nur so kommt man an die hintersten Flaschen, die kälter sein müssen als die Flaschen vorne …

Sieht man eine Baumaschine in Aktion, kann man sicher sein, dass der Maschinenführer arbeitet und die Masse zuschaut. Das wirkt meist so ansteckend, dass auch die anderen Bauarbeiter die Arbeit einstellen und dem Kollegen zugucken. Ganz bitter ist – jedenfalls zu Zeiten von Corona – der Drang des Türken, in der Menschenschlange nach vorne zu gelangen, koste es, was es wolle. Das Leben macht schließlich nur halb so viel Spaß, wenn man sich nicht vordrängeln kann.

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