Einmal HINGESCHAUT: Wenn Du nicht artig bist …

Ahmet Refii Dener über die Frage, wer das Gelbe vom Ei ist. (Meine Kolumne aus dem TAGESSPIEGEL v. 12. 08. 2020, Weltspiegel).

Folgender Satz spielt im Leben türkischer Kinder eine große Rolle: „Wenn du nicht artig bist, gebe ich Dich den Zigeunern!“ Kein Vergleich zum heutigen Deutschland, in dem man so ziemlich aus jedem Satz das Diskriminierende heraussaugen kann. Das wird in der Türkei viel lockerer gehandhabt. Nicht, dass es keine Diskriminierung gibt. Nein, ganz im Gegenteil. Die Diskriminierung ist ein Teil des Lebens in der Türkei.

Ich sollte vielleicht noch das Thema mit den Kindern abschließen. Die Türken kennen nur das Wort Zigeuner und nicht die Unterschiede und dass es Sinti und Roma gibt. Das wäre auch zu kompliziert. Das Paradebeispiel des Zigeuners in der Türkei ist, der am Straßenrand Bettelnde mit einem Baby auf dem Arm. „Wenn Du nicht artig bist, gebe ich Dich den Zigeunern, dann kannst Du betteln gehen!“ Pädagogik 2.0 in höchster Vollendung.

Die Steigerung davon, allerdings ohne Diskriminierung, ist: „Wenn Du nicht artig bist, werde ich nicht mehr Deine Mutter sein, dann kannst Du Dir eine andere Mutter aussuchen!“ Das ist für ein sechsjähriges Kind – wobei das Alter in dem Fall keine Rolle spielt – eher eine seelische Folter. Warum die kinderlieben türkischen Mütter so etwas tun, kann ich mir nicht erklären. Wahrscheinlich handelt es sich um überlieferte Tradition.

In Alanya konnte man oft hören, wenn die Touristinnen blöden Sprüchen und den Blicken der Verkäufer ausgesetzt waren, dass die türkischen Frauen mit den Verkäufern schimpften. Waren die türkischen Frauen dann untereinander, hieß es: „Diese Kurden, sie kommen über den Sommer immer hierhin und belästigen die Touristinnen!“ So ist das in der Türkei. Jeder einzelne steht obenauf und dann gibt es noch den Rest, der weit darunter steht. Zigeuner, Kurden, Ungläubige. Der Türke ist der leuchtende Stern im Türkenhimmel. Anders sieht es aus, wenn sie die türkischen Grenzen verlassen.

Das beste Beispiel liefern die in Deutschland lebenden Türkeistämmigen. Das Kastendenken der Türken – meist der Stadttürken auf türkischem Boden – lässt nicht zu, diese Menschen, die die identischen galoppierenden Gene besitzen, als die Ihren anzuerkennen. Die anderen sind die Deutschländer, die aus Anatolien nach Deutschland zogen, dort Geld sparten und jetzt glauben etwas Besseres zu sein.

Wer so differenziert und diskriminiert, bezeichnet eine dunkelhäutige Person eben als „Neger“. Ein anderes Wort gibt es dafür im türkischen Sprachgebrauch nicht. Wozu auch, wenn man schon das Wort „Diskriminierung“ nicht kennt?

 

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