Istanbul: Mein Nachbar war ein deutscher Spion

Muss vielen als Mittags- oder Abendtisch reichen.

Damals, als ich in Istanbul lebte, hatten wir einen deutschen Nachbarn und was für einen. Zuerst war die Freude bei mir groß, würde doch sicher eine Familie mit Kindern dazu gehören. Wunschdenken, wie es sich später herausstellen sollte. Nehme ich mal den fiktiven Namen Mayer. Nachdem wir uns in der tollen Wohnung im Stadtteil Moda, mit dem Bosporus-Panoramablick (die ich in meinem Buch ‚Kaltstart X‘ beschrieb), eingerichtet hatten, ging ich die paar Stufen hoch und klingelte bei den Mayer’s. Niemand machte auf, wo ich doch sicher war, dass sie zuhause waren. Denn bevor ich klingelte, hörte ich, wie jemand telefonierte. Ein zweites Mal Klingeln und ich gab auf. Ich dachte mir nichts dabei. Den Herrn Mayer sah ich Morgens, so gegen 5-6 Uhr aus dem Haus gehen. War es Zufall, dass wir uns nicht begegneten? Ich war schon Casablanca mäßig schwarzweiß unterwegs und wähnte mich in einem Spionagefilm. War der Nachbar evtl. ein Spion?

Das Ganze bekam noch Nahrung, als ich gegenüber im Cáfe Kemal saß und auf der einen Seite den Bosporus, mit der Blauen Moschee, der Hagia Sophia und dem Topkapi Palast beobachtete und mit dem Cáfe-Besitzer sprach und dabei auf die Wohnung meines Nachbarn zeigte: „Weißt Du, wer da wohnt? Den Mann sehe ich oft Morgens früh aus dem Haus gehen, aber nie Heimkommen. Wohnt da eine Familie, oder ein Einzelner?“ Die Antwort folgte prompt: „Das ist ein deutscher Spion!“ Ich musste laut lachen. Ein Spion, den jeder als Spion kannte, muss ja ein feiner Spion sein. Ein Kellner, der das Gespräch belauschte, ergänzte: „Er arbeitet aber nicht allein, zumeist hat er Informanten, die sich als Simitverkäufer (Sesamringe-Verkäufer) tarnen.“ Schau an, dachte ich. Das muss ein hartes Brot sein, in der Türkei Spion zu sein, wo jeder einen beobachtet und über alle Schritte Bescheid weiß. Wir befanden uns mit der Zeit am runden Tisch, zumal jeder Kellner, der gerade nicht bedienen musste, dazu kam. Ein anderer sagte: „Der wird für sein Job gut bezahlt. Er bekommt jeden Monat 8.000 Euro.“ „Habt Ihr seine Post aufgemacht, oder woher wisst Ihr das?“ „Nein, der Herr Yilmaz, ihr Nachbar, der über dem Deutschen wohnt, arbeitet bei der Akbank, der hat uns das gesagt (Türkisches Bankgeheimnis: Unter dem Mantel der Verschwiegenheit, jedem alles weitersagen.) Er soll das Geld immer voll abheben, immer in der ersten Woche eines jeden Monats.“ Ich dachte, meine Güte, die Spionageabwehr funktioniert wie ein Uhrwerk.

Die Simitverkäufer am Hafen in Kadiköy waren auf einmal auch in mein Fokus geraten. Immer wenn ich ein Simit kaufte und das tat ich fast jeden Tag, vor der Abfahrt des Schiffes auf die europäische Seite, wurde ich von einem potentiellen Informanten eines Spiones bedient. Ich schaute mir die Gegend an und fragte mich, was könnten die Simitverkäufer schon für Informationen haben? Mein Nachbar war mir nicht egal. Immer, wenn ich Zuhause ankam, schaute ich nach oben, aber ich sah  niemandem am Fenster. Wenn einer so einen Ausblick hatte, wie der Mayer und nicht einmal rausschaute, konnte nicht ganz dicht sein. Von unserem gemeinsamen Vermieter wusste ich, dass er an die 3.000 Euro Miete bezahlte. Natürlich fragte ich ihn auch, was das denn für einer ist, wo er doch so kontaktscheu ist. „Ich möchte darüber nicht sprechen, aber er ist ein deutscher Spion.“ sagte er. Ich fragte den Vermieter, woher er das denn wüsste. Das könne er nicht sagen, aber es hätte etwas mit den Simitverkäufern zu tun, sagte er.

Fast hatte ich den Nachbarn abgeschrieben, klingelte es eines Tages an meiner Tür.  Der Mann vom Reisebüro fragte nach dem Spion, ich meine Herrn Mayer. Er hatte eine ausgedruckte Seite von einem E-Ticket der Lufthansa. Ob ich das an ihn weiterleiten könnte. „Klar!“, denn jetzt könnte ich ja mehr erfahren, oder ihn aus nächster Nähe sehen. Sonst kannte ich ihn nur von hinten, immer wenn er das Haus verließ.

Ich staunte nicht schlecht, als ich sah, dass er am nächsten Tag mit der 11 Uhr Maschine nach Düsseldorf fliegen wollte, denn ich würde auch in der Maschine sitzen.

Sofort schrieb ich eine  Notiz an ihn: „Sehr geehrter Herr Mayer, anbei Ihr e-Ticket vom Reisebüro. Dieses hat man bei mir abgegeben. Da ich morgen ebenfalls mit der 11 Uhr Maschine nach Düsseldorf fliege, können wir evtl. mit einem Taxi fahren. Melden Sie sich bitte.“

Es wurde Nacht. Mittlerweile war ich mir sicher, er würde sich nicht melden. Ich rief den Taxistand in der Nachbarschaft an und bestellte für den nächsten Tag ein Taxi. Als ich meine Anschrift und Zielpunkt Flughafen nannte, sagte der Mann am Telefon: „Werden Sie mit dem Deutschen mitfahren, er hat schon ein Taxi bestellt?“ Nein, sagte ich. „Fahren Sie mich bitte halbe Stunde eher zum Flughafen.“ Der Mann am Telefon: „Haha, Sie wollen dem Spion nicht begegnen, oder?“ Halleluja, mittlerweile glaubte ich, dass Herr Mayer Visitenkarten hatte, wo Spion als Beruf draufstand.

Es war ein lustiger Tag. Als ich mich eine halbe Stunde vor ihm  auf den Weg zum Flughafen machte, sah ich das erste Mal, dass sich die Vorhänge etwas bewegt hatten. Noch genialer war, dass ich vor der Tür einem Simitverkäufer, mit seinem Simitverkaufstablet, den er auf dem Kopf trug, begegnete. „Womöglich die letzten Infos vor der Abreise nach Deutschland.“ dachte ich. Am Check-In Schalter begegnete ich ihm. Der Mann reiste mit einer einzigen Plastiktüte, auch noch zu einem viertel voll und hatte kein Gepäck bei sich. Schon wurde alles schwarzweiß und Casablanca mäßig. Ich wartete darauf, dass jeden Moment noch Humphrey Bogart auftaucht und ihm Hallo sagt.

Die Maschine war nicht sehr voll. Uns trennten lediglich zwei Reihen. Das schmeckte ihm nicht. Er setzte sich ganz nach hinten.

Ich hatte wieder Stoff zum Erzählen. Ich gab meine Erlebnisse, meinen Informanten vor Ort, den Kellnern vom Cafe eins zu eins weiter. Die Sache wurde immer runder.

Apropos runde Sache… Nach ca. einem Jahr zog er aus. Beim Beladen des Pickups, stellte ich fest, dass er in der großen Wohnung lediglich ein Sofa, ein Doppelbett und einen Fernseher hatte. Ich wollte den Fahrer des kleinen Pickups interviewen, um zu erfahren, ob er innerhalb der Türkei umzog. „Meinen Sie den Ibne? (das bedeutet Schwul, aber eher ‘Schwule Sau’). „Wieso Schwul?“ fragte ich. „Ach, den kennt doch jeder in der Gegend, der treibt es immer mit den Simitverkäufern!“

Schluck, was denn nun? Schwul oder Spion, oder beides, oder keines davon?

Willkommen in der Türkei. Ich putze gerne Fenster. So etwas wichtiges überlasse ich nicht der Putzfrau. Fensterputzen beruhigt mich und ist eine Wissenschaft, meine ich zumindest. Schon gab es Gerüchte in der Umgebung, dass wir uns keine Putzfrau leisten könnten. Mir war das egal, aber meine Frau musste jedem Passanten, der zu uns rüber schaute erklären: „Das ist sein Hobby, hat er aus Deutschland mitgebracht.“

 

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