Türkei als Wirtschaftsstandort: Auf der einen Seite ein Pandemie-Gewinner, doch im Ganzen nicht so ganz.

Diesen Beitrag hatte ich in der Woche mit einem Paywall versehen. Siehe da, es klickten ca. 13.000 Personen drauf und lasen bis zum Paywall und nicht weiter. Mich hat es gewurmt, denn eigentlich war der Teil hinter der Mauer viel interessanter. Also hier nochmal ohne Paywall.

Was theoretisch Sinn machte, scheint auch praktisch zu funktionieren. Die Pandemie ließ nicht nur der deutschen Industrie bewusstwerden, wie weit China ist und wie schwer die Warenbeschaffung von dort funktioniert, wenn nochmal ein Virus den Geschäften ein Strich durch die Rechnung macht.

Einfache Frage: Welches Land vor den Toren Europas hat günstige Löhne und kurze Wege zur EU?

Klar kann man sich mit Bulgarien u.a. einfacher machen, zumal es EU ist uns die Zollmodalitäten nicht existieren, aber von den sogenannten Entwicklungsländern hat kein anderes Land eine so breit aufgestellte Industrie, wie die Türkei. Flexibilität ist Trumpf, in der Türkei. Der Kunde bestellt und das Unmögliche wird in kürzester Zeit möglich gemacht.

Diese Vorteile kommen auf einmal durch die Pandemie immer mehr ins Scheinwerferlicht und Türkei bekommt als Produktionsstandort eine besondere Bedeutung. Schaut man sich die Unternehmen an, die derzeit ihre Produktionen in die Türkei verlagern, stellt man allerdings eines fest. Es sind Unternehmen, die schon länger in der Türkei sind. So plant z. B. MAN den österreichischen Standort Steyr zu schließen und die Produktion nach Polen und in die Türkei zu verlagern. Bitter für die Österreicher, aber macht Sinn für MAN, der zur VW Gruppe gehört, die sich mit dem Autowerk gegen die Türkei entschied.

Gestern war z.B. zu erfahren, das BSH (Bosch-Siemens-Hausgeräte) die Produktion in ihrem griechischen Werk Pitsos zum 31. 12. 2020 einstellt und in die Türkei verlagert. Das Unternehmen in Griechenland hatte BSH mit anderen Investoren zusammen, in 2015 für 3 Mrd. EUR erworben. BSH-Pitsos hatte schon 2018 angekündigt, die Produktion einzustellen, aber durch das Eingreifen der griechischen Regierung, dennoch weiter produziert.

Gewinner sind die Unternehmen, aber nicht die türkische Arbeitnehmerschaft

Klar, zwischen Haben und Nichthaben beträgt der Unterschied 100%. So bekommen einige türkische Arbeitnehmer neue Jobs, die sie sonst nicht gehabt hätten. Ein Vorteil ist, dass diese Unternehmen die Gehälter pünktlich bezahlen. Wenn man aber etwas weiterdenkt, kommt man darauf, dass die immer niedriger werdenden Löhne der Türkei und die Qualität, die man in der Produktion gewährleistet die eigentlichen Bonuspunkte für die Unternehmen sind und schwerer wiegen, als die Tatsache, dass in der Türkei einige wenige Arbeitsplätze entstehen. Die Pandemie lieferte den Unternehmen nun den Anstoß, jetzt aktiv zu werden.

Ein Armutszeugnis für die Türkei: Schauen wir auf die Entwicklung der Gehälter in der Türkei und warum die Türkei eigentlich auf der Verliererseite steht.

Jahr    Mindestlohn           EUR-Kurs                  Mindestlohn in EUR

2006              531 TL           1,66 TL                      319 EUR

2010              599 TL           1,98 TL                      302 EUR

2015              949 TL           3,02 TL                      314 EUR

2020              2324 TL         9,30 TL                      249 EUR

Wir stellen fest, dass der türkische Arbeitnehmer, durch den Schwund der Kaufkraft der eigenen Währung immer weniger in der Tasche hat. Allein die Tatsache, dass die Strompreise durchschnittlich um 10% steigen zeigt auf, wie es um die türkische Bevölkerung bei diesen Mindestlöhnen steht.

Um nochmals zu unterstreichen.

Ausländische Direktinvestitionen für neue Projekte sind derzeit Mangelware. Nicht nur, dass die Türkei bankrott dasteht, auch die Tatsache, dass ein einziger das Sagen hat im Land, erschreckt die ausländischen Investoren. Das wird auch nicht besser werden, solange er bleibt.

So bleiben die Unternehmen, die schon in früheren Jahren in die Türkei kamen und ihre Produktionen aus dem EU hierhin verlagerten, die absoluten Gewinner, zumal die Werke in der Türkei existieren und lediglich etwas aufgestockt werden müssen, wenn man noch mehr aus Europa wegnimmt.

Gehen z.B. in Österreich oder Deutschland durch die Verlagerung in die Türkei 10.000 Arbeitsplätze verloren, so werden in der Türkei lediglich 1.000 – 2.000 neue Arbeitsplätze erschaffen, wenn überhaupt. Denn es sind bei den bereits vorhandenen Werken reichlich Kapazitäten vorhanden. Einige Zusatzinvestitionen für neue Anlagen und GO!

Um aufzuzeigen, wie groß die Türkei-Erfahrung der o.g. Unternehmen ist… MAN ist seit 1966 in der Türkei und die BSH seit 1992 und Siemens gar ist seit 163 Jahren vor Ort.

 

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