Das Schiff namens “Türkische Republik” hat Anker geworfen. Leider!

Ein sehr schönes Gemälde. Es symbolisiert die Freude über die Gründung der Türkischen Republik am 29.10.1923. Auferstanden aus den Ruinen des Osmanischen Reiches, voller Freude und Begeisterung schreiben diese Kinder “YAŞASIN CUMHURİYET” (“Es lebe die Republik”) an die Wand.

Doch dieses Bild verweist auch auf eine unsichtbare Kette, die immer wieder die Türkei daran hindert, sich völlig befreit der Zukunft zuzuwenden. Die Schriftreform wurde erst am 1. November 1928, also fünf Jahre später, verabschiedet, folglich hätten diese Kinder dies in osmanischer Schrift (arabisches Alphabet mit einigen zusätzlichen Buchstaben) schreiben müssen, damit das Bild authentisch wirkt. Doch dies würde diese Fußfessel wieder spürbar werden lassen. Eine Befreiung vom alten System durch Verwendung ihrer Schrift, kann das funktionieren? Und da für einen Laien vom Schriftbild her Osmanisch nicht von Arabisch zu unterscheiden ist, wäre die religiöse Komponente auch sofort da: der Islam.

Nein, ein Aufbruch an neue Ufer setzt nicht den absoluten Bruch mit allem Althergebrachten voraus, man muss nicht seine bisherige Identität komplett abstreifen, aber mit einem noch bis zum Meeresboden zu Wasser gelassenen Anker kommt man nun mal nicht voran, und wer nur mit halb herausgezogenem Anker versucht diese neuen, fernen Ufer zu erreichen, wird dort nur schwer ankommen können.

Das Schiff namens “Türkische Republik” hat es schwer… viele würden gerne zurückrudern, andere einfach dort, wo man gerade ist, den Anker wieder zu Wasser lassen, da dieses Leben auf Erden eh nur eine Zwischenstation vor dem für sie wichtigeren Leben nach dem Tode ist. So treibt dieses so wunderschöne Schiff auf stürmischem Gewässer manchmal ziellos umher, vor allem dann, wenn der gewählte Kapitän andere Ziele anstrebt und immer mehr Besatzungsmitglieder das so verheißungsvolle Ziel namens “Zukunft” nicht mehr interessiert.

Hoffen wir, dass der “falsche” Kapitän für dieses Projekt mitsamt seiner Besatzung in die Rettungsboote gesetzt wird, und man dem Ziel von 1923 (die Republik wird 100 Jahre alt) wieder mit voller Kraft entgegen segeln kann, dann mit einer Crew, die weiß, wie der Zielort dieses Schiffes heißt.

Wer braucht dann noch die Rettungsboote, wenn die Richtigen am Ruder sind?

Gastbeitrag von Hayri Ömer Dener

Bild: Netzfund

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