Zivilcourage – egal durch wen

Würde ich Neonazis die Zivilcourage beweisen gut finden? Helden und Wunder liefern dieser Tage reichlich Material um sich auf der türkischen Seite des Hirns richtig aufzuregen. Auf der einen Seite Trump, der sich alle Unarten des Herrn Erdogan angeeignet hat und versucht die Präsidentschaftswahlen noch umzubiegen und auf der anderen Seite die Terrorakte und das Erdbeben in Izmir.
Als ich in der Türkei lebte, regte ich mich immer darüber auf, wenn ich Überschriften las wie: „Über diesen Schüler spricht ganz Deutschland.“ Natürlich wusste in Deutschland niemand, welcher türkische Schüler gemeint war, der mit der Note 1 sein Abi machte. Dann las man von einer Erfindung, die nur ein Türke hätte machen können. Das Genie des Türken wurde im Artikel herausgestellt. Recherchierte man weiter, stellte man fest, dass die Meldung nicht weiterverfolgt werden konnte. Frei erfunden, aber genug Material, damit sie im Internet unter den Türken und in Deutschland in der türkischen Community die Runde machte.
Dieser Tage sind wir wieder soweit. Terroranschlag in Wien. Statt sich über die Sache selbst auszutauschen, werden in der Türkei zwei Türkeistämmige als Helden gefeiert, weil sie einem österreichischen Polizisten der angeschossen wurde, geholfen haben. Vielen Dank dafür, denn Zivilcourage ist dieser Tage gefragt und selten genug. Nur, wenn ich mir die Muskelberge der Jungs anschaue, macht das Sinn, dass sie den Hauch von Menschsein in sich spürten und halfen. Ich stelle im Fall der beiden mit, dass man heutzutage anscheinend gut abwägen muss, bevor man Zivilcourage beweist, ob man auch sonst sauber ist und die Aktion einem nicht schaden kann. Es stellte sich heraus, dass die beiden zu den türkischen Faschisten zu zählen sind. Zu meinem Unglück, damit ich mich richtig aufrege, heißt der eine noch Recep Tayyip, so wie Erdogan der Prächtige. Dann noch der Gruß der Grauen Wölfe auf den Fotos der beiden und fertig war das Gesamtpaket.
Schon musste ich mich zur Probe stellen. Würde ich Neonazis, die Zivilcourage beweisen und einem Menschen in Not helfen, gut finden? Ich glaube ja, denn hier geht es um das Leben eines Menschen, der Hilfe brauchte. Schon tauchen Meldungen auf, dass ein Palästinenser den Polizisten eigentlich vorher schon hinter eine Mauer gezogen habe.
Man beachte bitte die Meldung, ein Palästinenser! „Vor den beiden half schon ein junger Mann dem Polizisten und zog ihn hinter eine Mauer“ hätte die Nachricht auch lauten können, aber nein, es war ein Palästinenser.
Jetzt können wir folgende Schlüsse ziehen, gesetzt den Fall, der Palästinenser ist nicht erfunden. Die bösen türkischen Jungs und die Palästinenser sind auch zu den Guten zu zählen. Sie halfen und bewiesen Zivilcourage. Danke dafür nochmals. Es kann aber auch sein, dass man die Hilfeleistung der beiden Türken, die sich nach kleiner Recherche als Faschisten und Erdogan Anhänger herausstellten (laut Profilfotos), doch nicht als Helden stilisieren wollte, nicht mit diesem Makel, der nur schwer verdaulich ist. Zuviel der Gedanken, aber wieder sind wir da, wo wir immer sind. Man weiß es einfach nicht. In der Türkei werden die beiden schon als Helden gefeiert. Nach welcher terroristischen Tat sie zu Helden wurden, ist zweitrangig. Es starben ja nur vier Personen durch einen IS Sympathisanten, passiert schon mal. Den Eindruck gewinnt man, wenn man die türkischen Medien verfolgt. Egal was positiv erscheint, muss für den politischen Islam und für den Prächtigen herhalten und ausgeschlachtet werden.
Nach 91 Stunden wurde ein dreijähriges Mädchen aus den Trümmern eines eingestürzten Hauses in Izmir unversehrt gefunden. Eine Meldung, über die wir uns vom ganzen Herzen freuen können, ist aber nicht genug. Noch bevor sie in die Obhut der Ärzte kommt, muss sie auf dem Korridor des Krankenhauses auf den stellv. Gesundheitsminister warten, damit sie vor laufenden Kameras als Medienfutter zum Einsatz kommen kann. Sind die Fotos geschossen? Okay, dann kann sie jetzt behandelt werden.
Erdogan hat die besseren Karten
Klar rege ich mich über Trump auf, der wie Erdogan, noch vor der Verkündung des offiziellen Endergebnisses sich als wiedergewählter Präsident hat feiern lassen. Er bombardiert mit Lügen-Tweets die sozialen Medien und wird sofort zensiert, mit dem Hinweis, dass es nicht wahr ist, was er schreibt. Da sind Erdogan und sein Schwiegersohn, der Schatzamts -und Finanzminister viel weiter. Sie erzählen nur Unwahrheiten, aber werden nicht zensiert. Wahrscheinlich, weil sie nur für die Türken eine Rolle spielen und für den Rest der Welt unbedeutend sind.