Fehler, die man zuerst machen muss, um zu wissen, dass es sich um Fehler handelt.

Oftmals sage ich als Berater: „Wenn Du einen guten Berater haben möchtest, gehe zu dem, der weiß, was alles falsch ist und man es tunlichst meiden sollte.“
Der Fehler, der mir beim Schreiben meines Buches unterlaufen ist, musste wohl zuerst passieren. Denn ich kann mir kaum vorstellen, dass mir jemand im Vorfeld hätte sagen können, dass ich es meiden solle.
Ich musste nicht erst 60 Jahre alt werden, denn schon als ich 30 war, gab es so viel an Privatem und Geschäftlichem zu erzählen, dass die Menschen in meinem Umfeld immer wieder sagten: „Du musst ein Buch schreiben!“ Darauf reagierte ich, als Marketingspezialist und Ideengeber für den Vertrieb, mit der Gegenfrage: „Wer soll denn mein Buch lesen? Ich bin doch der Öffentlichkeit nicht bekannt.“
Dann ging es los mit dem persönlichen Blog
Im Januar 2011 legte ich dann meinen persönlichen Blog go2tr.de (heißt jetzt ichmeinsgut.de) an. Zuerst einmal, um meinen Expertenstatus, wenn es um die Türkei geht, zu unterstreichen. Das gelang mir so gut, dass ich bei dem Suchbegriff „Türkei-Berater“, auch ohne Zahlungen an Google, immer unter den Top 3 war. Es funktionierte prächtig. Was man heute nicht für möglich halten sollte, gab es damals seltener etwas Negatives aus der Türkei zu berichten, natürlich nur dann, wenn man die Missachtung der Menschenrechte nicht beachtete. Ich lebte anfangs in Istanbul und dann in Alanya.
Risk Management versagt, wenn man 300.000 Personen (Monat) zur Leserschaft zählt
Kommen wir zu meinem Buch “Kaltstart X – Wie oft kann man im Leben bei null anfangen?“ Die Ausgangslage war sehr gut, als ich mich Ende 2018 dranmachte. Die Leserschaft vom Blog, satte 300.000 Personen jeden Monat und das mit einer Verweildauer von über drei Minuten, sollte die Basis und die Käuferpotentiale des Buches bilden, das ich selber verlegen wollte. Dennoch schrieb ich zwei Verlage an, um zu schauen, ob sie es verlegen würden. Sie sagten beide, dass es am Markt inflationär sei, was türkischstämmige Autoren anginge, somit wurde meine Route bestätigt und vorgegeben.
Verlegener Verleger
Selber verlegen, bzw. veröffentlichen, passte besser zu meinem Naturell. Der eigene Herr bleiben, und so ziemlich alles selber entscheiden zu können, bildeten den Reiz. Auch die Tatsache, dass ich, nachdem ich die Türkei verlassen und dringend schauen musste, wie ich über die Runden komme, machte das ‘Selbst-Verlegen’ reizvoll. So musste ich den sowieso kleinen Gewinn nicht mit dem Verlag teilen.
Nachdem das mein Manuskript fertig war, legte viel Wert auf die Papierqualität und auf die Handlichkeit, sowie auf das Cover. Schließlich war es mein Markenzeichen, auf die Details zu achten und alles perfekt zu machen.
Ich müsste lügen, wenn ich sagen wollte, dass ich mich zwischendurch nicht einige Male selber auf die Schulter geklopft hätte: „Bravo Ahmet, Du hast es echt drauf!“
Die Bücher wurden ausgeliefert
Ich werde nie vergessen, als die ersten Bücher ausgeliefert wurden. Nein, nicht in den Buchhandel (obwohl man das Buch auch da bestellen kann), sondern an mich, nach Hause. Auch da war ich gut vorbereitet, und hatte für den Transport in den Keller einen Transportkarren gekauft. Dass am Ende das Tragen ohne den Transportkarren praktischer war in der August-Hitze, brachte es mit sich, dass Ihr jetzt den Transportkarren, mit nur 5 Fahrmetern zu Testzwecken, zum halben Preis bei eBay kaufen könnt.
Lasst Millionen regnen!
Noch am ersten Tag, als ich mein Buch über meinen Blog verkündete, erreichte der Beitrag an die 80.000 Personen. Juchhei, jetzt hieß es nur noch verkaufen und nochmals verkaufen. Am Abend dann war meine Ausrede, dass ich ja erst wenige Stunden online war mit dem Beitrag, dass die Menschen in der Augusthitze eher grillten, als sich Bücher zu kaufen. Es lief sehr schleppend an, jedenfalls nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte, bei einer Leserschaft von 300.000 im Monat, eher kümmerlich.
So risikofreudig bin ich eigentlich nicht, eher sicherheitsbetont
Ich setzte nicht nur auf die Leserschaft vom Blog, sondern auch auf die Zehntausende, die ich über Social-Media erreichen konnte. In der Sonne von Alanya hatte ich mir eine riesige Fangemeinde in Deutschland aufgebaut, ohne, dass ich es bemerkte. Ich tat nämlich das, was sie nicht taten: Ich kritisierte das Unrechtregime in der Türkei ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen öffentlich. Heute staune ich nicht schlecht, was ich so alles riskierte in der Türkei. Einige Male am Flughafen bei der Ausreise verhört und dann Zuhause von irgendwelchen zwielichtigen Männern, die sich als Staatssicherheit ausgaben (ich war zum Glück nicht da), besucht worden, hatten mir nichts ausgemacht. Heute denke ich, dass die vielen ausländischen Unternehmen, die ich in die Türkei holte, meinen Schutzschild bildeten. Die Regierung hoffte auf mehr und ließ mich meinen Job machen und schluckte dabei, dass ich laut kritisierte. Ich machte weiter. Bleiben wir aber beim Buchverkauf.
„Was war der Grund, weshalb Du mein Buch nicht gekauft hast?“
Tage vergingen, danach Wochen und Monate, aber der Verkauf blieb weit unter meinen Erwartungen. Die, die mein Buch gelesen hatten, waren begeistert, aber wo war der Rest, auf die ich zählte?
Da die Recherche meine Stärke ist und ich mit einer gesunden Neugier ausgestattet bin, beschloss ich, einige, die zu der Gruppe der engen Freunde zählten, zu kontaktieren, rot im Gesicht zu werden und zu fragen: „Was war der Grund, weshalb Du mein Buch nicht gekauft hast?“ Das tat ich tatsächlich bei dreizehn Personen, die nicht schlecht staunten und ihrerseits rot wurden. Ich schenkte jedem von denen ein Buch, damit sie sich besser fühlten. Ein Scherz!
“Das offene Buch. Montags Ruhetag!”
„Du bist doch ein offenes Buch. Ich glaube alles über Dich zu wissen und nahm an, dass mir das Buch viel mehr auch nicht liefern würde.“ Das war der Grundtenor und die Quote lag sogar bei 100%. Stimmt, denn auf dem Buch steht ja neben dem Titel „Kaltstart X – Wie oft kann man im Leben bei null anfangen?“ auch der Zusatz: „Fast Eine Autobiografie“ Sensationell ist, dass all diese drei Wörter mit Großbuchstaben anfangen. Warum das bei „Eine“ auch der Fall ist, ist darauf zurückzuführen, dass ich und die Lektorin halb blind waren. Übrigens, sie wollte aus einem anderen Grund im Buch nicht genannt werden, aus Angst, dass ihr als Lektorin eines Erdogan-Kritikers etwas passieren könnte. Ich weiß nicht, wie sich das alles liest, aber fast nach jedem Satz muss ich schmunzeln. Was für Geschichten!
Aus Fehlern gelernt, aber zu spät.
Welch ein Fehler, denn diese drei Wörter „Fast Eine Autobiografie“, hätten ruhig fehlen können. Sie eliminierten auf einen Schlag die Potentiale, auf die ich gebaut hatte. Sie glaubten mich zu kennen, weil ich schon in den Blogbeiträgen so authentisch rüberkam.
Gerade zu Pandemiezeiten fragen sich Millionen, z.B. viele Solo-Selbständige: „Wie kann man im Leben wieder bei null anfangen?“ Dafür interessieren sich viele, aber wer interessiert sich schon für eine „Fast Autobiografie“ eines Ahmet Refii Dener, den er gar nicht kennt? Die, die ihn kennen, kennen mich ja, und die brauchen das Buch nicht, so glauben sie.
Gerade nahmen die Verkäufe Fahrt auf, als ich anfing Lesungen zu organisieren, dass ich dachte, ja, das kann ich immer machen, denn ich hatte ja allgemein recht viel zu erzählen. Pustekuchen! Am 15. März kamen die Pandemieschutzmaßnahmen. Nichts ging mehr für mich.
Lange Rede, kurzer Sinn. Den Satz „Fast eine Autobiografie“ herauszunehmen und das Buch unter „Wie oft kann ich bei null anfangen?“ herauszubringen, wäre zu kostspielig und außerdem, ich müsste unter Synonym schreiben, evtl. als Hans Wurst, damit die Neugier geweckt wird.
Die, die das Buch gelesen haben, erzählen, dass sie es bei einem Atemzug verschlungen hätten und die ganze Zeit das Gefühl hatten, mich vor sich sitzen zu haben. „Fast Eine Autobiografie“, authentisch, lebensbejahend, mutmachend, sagten sie. Keiner von denen hat gesagt: „Hätte ich nicht lesen brauchen, ich kannte dich ja schon vorher!“
Kaltstart X gibt es auch nach Weihnachten!
Heute schickte mir eine liebe Freundin aus Bodrum dieses Foto:
Mein Buch war lange unterwegs zu ihr. Da es das Buch in der Türkei nicht zu kaufen gibt, hatte sie es über ihre Tochter in Berlin bestellt, die aber ihre Reise in die Türkei immer wieder verschob. So erreichte sie mein Buch nach einem halben Jahr und 3.500 Kilometern erst diese Woche.
Wir begegneten uns vor Jahren auf der Sommergartenparty des türkischen Konsulates in Istanbul und wurden gute Freunde. Nicht nur das, wir waren auch Kollegen, denn sie hat auch deutsche Unternehmen im Gepäck gehabt, die sie auf dem türkischen Markt beraten hat. Auch unser berufliches Schicksal war identisch. Nach den von der Polizei brutal zerschlagenen Gezi-Demos in 2013 mochten die ausländischen Unternehmen nicht mehr in der Türkei investieren. Sie hängte den Job an den Nagel, heiratete und zog nach Bodrum. So gesehen hat sie es besser erwischt.
Tja, ich trage mich mit dem Gedanken wieder ein Buch zu schreiben, aber unter welchem Namen?