QUO VADIS TÜRKEI?

Wenn man ausländische Unternehmen in die Türkei holen möchte, fängt der gewöhnliche Türkei-Berater zumeist mit dem Bonbon an und sagt: „Die Löhne in der Türkei sind niedrig, dort können Sie sehr günstig produzieren.“ Die Aussage stimmt natürlich und beschreibt die Misere der Massen. Um diesen Vorteil nicht zu verlieren, steigt der Mindestlohn zum 31.12. eines jeden Jahres nur Häppchenweise und bleibt weit unter der Inflationsrate.

Der obige Wert des Euro für 2020 ist ein Mittelwert. Momentan steht der Euro bei ca. 9,50 TL. So bekommt die türkische Arbeitnehmerschaft 221 EUR/Monat Mindestlohn. Quelle: Devisenkurse

Erkl.: Ab 2005 wurden bei türkischem Lira sechs Nullen gestrichen.

Bitte 2020 mit 2008 vergleichen!

Auch wenn man den Mindestlohn 2020 und 2008 auf gleicher Höhe hat, was schlimm genug ist, wo doch in 12 Jahren überall alles teurer geworden ist, so kann man den Kaufkraftschwund in Relation zu ¼ Golddukate sehr gut feststellen. Stimmt, in der Türkei kann man vor den Toren Europas zu Minilöhnen produzieren und Qualität abrufen, aber dafür muss das Volk einen gewaltigen Preis bezahlen. Gut für die Auftraggeber und Produzenten, schlecht für die Knechte, nämlich die türkische Arbeitnehmerschaft.

Die Mindestlöhne müssen auf Hungerlohnniveau bleiben

Hier muss man die Schuld nicht auf die Ausländer bzw. wie es heutzutage im Erdogan-Jargon heißt, den ausländischen Mächten, zuschreiben, denn die Türkei wäre für einen Investor des produzierenden Gewerbes völlig uninteressant, wenn es die Mini-Löhne nicht gäbe und wohlwissend, dass das so ist, hält die Türkei, egal welche Regierung an der Macht ist, die Löhne im Keller und findet sich mit der Knechtschaft ab.

Schrumpfende Industrieproduktion, viel junges Volk

Einen Ausweg gibt es heute nicht und wird es zukünftig auch nicht geben, zumal die Arbeitslosigkeit seit Jahren Fahrt aufgenommen hat und nicht zu stoppen ist. Der ehemalige Minister aus den AKP Reihen Mehmet Simsek sagte mal: “Dass, was wir als eine große Chance sehen, nämlich die im Vergleich zu Europa junge Bevölkerung, wird zum Nachteil für uns, wenn wir für sie nicht die Arbeitsplätze schaffen.” Genau das ist eingetreten.

„Warum diese Schwarzmalerei?“

Glaubt mir, die schwarze Farbe, welches keine Farbe ist, würde ich nicht in die Hand und in den Mund nehmen, wenn die Situation etwas anderes hergeben würde. Wenn Du nicht mit mir einer Meinung bist, musst Du sagen, wie Du alles zum Besseren wenden könntest. Diese umsetzbare Formel gibt es nicht. Klar kann man darauf aus sein, Produkte mit Mehrwert zu produzieren und nicht nur alles über den günstigen Preis zu verkaufen. Nur um Mehrwert zu schaffen und dieses in die Produkte zu reflektieren bedarf eine Umkehr in den Köpfen in allen Gesellschaftsschichten und natürlich Zeit. Wer türkische Gene hat weiß, dass diese galoppieren und einfach nicht gewillt sind vernünftig zu agieren und Zeit haben sie außerdem nicht. So, jetzt sind wir wieder an diesem Punkt angekommen, wo wir der Wahrheit leider ins Gesicht schauen müssen.

Die Stille Reserve der Türkei gibt es auch in Deutschland und das reichlich.

Ich hatte vor einigen Tagen über die „Stille Reserve“ der Türkei geschrieben und meinte damit die ca. 10% der türkischen Schülerschaft, die in Privatschulen und -Universitäten im In- und Ausland beste Bildung erfahren um am Ende still und heimlich für sich zu leben und dem Land nicht viel nutzen.

Diese „Stille Reserve“, meine angedachte Stille Reserve gibt es auch in Deutschland und auch anderswo im Ausland. Das sind die Auslandstürken. Die aus den USA kommen, wenn sie kommen, zurück in die Türkei und realisieren große Projekte, die innovativ sind, wo sich sogar das Ausland dafür interessiert, sich daran beteiligt, oder diese Unternehmen sogar kauft. Meine Stille Reserve der Deutschland-Türken sind entweder so gut integriert, dass sie  sich mit der Türkei  nicht befassen möchten, oder sind ganz laut, dass sie in Deutschland Unruhe verbreiten und im Endeffekt der Türkei auch nichts nutzen, sogar ganz im Gegenteil, sie sind das hässliche Gesicht der Türkei in Deutschland, eigentlich eine Minderheit, aber laut und für den Diktator, sorry, dem Alleinherrscher.

Schauen wir doch den Realitäten ins Gesicht.

Die Türkei ist wie ein führungsloses Schiff unterwegs. Eine Rettung gibt es so oder so nicht. Nicht unter Erdogan. Eine zeitweilige Rettung, wenn man einige Hundert Millionen an Euro von der IWF bekommt, könnte es geben, aber da sind zwei Hindernisse im Weg. Zum einen hasst der Alleinherrscher die IWF und sagt, dass es seine Rote Linie wäre, wobei das bei ihm kaum Gewicht hat, zumal er am Ende über alle rote Linien geht, oder vergisst, wo diese waren, aber noch prekärer ist es, dass er mit den schweren Geschützen der IWF, die das Sagen haben, verkracht ist.

Regieren war gestern, heute geht es nur um Machterhalt und Ausbeutung.

Das Regieren ist für ihn einfach, zumal er keine Möglichkeiten mehr sieht, etwas zum besseren zu wenden bzw. mit dem Auftrag gekommen ist, alles schlechter werden zu lassen, damit die Türkei auf ewig am Tropf des Auslandes hängt. Das ist nicht eine Vermutung, sondern die Analyse dessen, wie er agierte in den letzten Jahren seiner Regentschaft. Alles wurde auf Pump gebaut und mit Auslastungsgarantien für die Erbauer und Betreiber, natürlich AKP Unternehmer, ausgestattet. Diese werden noch auf Jahrzehnte aus den Steuergeldern bezahlt werden müssen. Die Mindestauslastungen sind bei keinem der bald 40 Flughäfen, Brücken, Tunnels und Straßen erreicht worden. Also lässt er es geschehen und schaut, was man noch für die Seilschaften und die Verwandtschaft in die eigene Schatulle schaffen kann.

Er hat alle Macht und das so lange, wie er Lust und Laune hat.

Viele, die ihn bald schon gehen sehen, muss ich enttäuschen. Die türkische Verfassung hat er so geändert, dass er alle Macht hat und gehen wird, wenn er der Meinung ist, dass jetzt gut ist, obwohl, einer mit so einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung könnte diesen Zeitpunkt auch verpassen. Dann werden wir sehen, was für einen  Platz die Geschichte für ihn bereithält.

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