Der Textilfuchs (66 J.) ließ sich von der Einkäuferin (25 J.) vorführen

Neben meiner Beratungstätigkeit, konnte ich in den 80ern und noch Anfang 90ern, es nicht lassen, Textilien aus der Türkei auf dem deutschen Markt zu verkaufen. Es machte riesig Spaß, wenn ich die Teile auf der Straße sah, wie die Menschen diese trugen. Besonders die 80er waren für die Branche die richtig guten Jahre, dann aber gab es einen Schnitt und die großen Einzelhandelsketten bestellten auf einmal nicht mehr Mengen, die fünf Nullen hinten hatten, sondern nur noch drei und das war dann für ganz Deutschland vorgesehen. Nein, die Menschen liefen nicht nackt rum, sie hatten noch was an, aber man kombinierte mehr und die milden Winter brachten eine gewisse Unsicherheit in die Branche und zwang sie dazu, immer weniger Kollektionen zu produzieren. Wollte man sich winterlich kleiden, zog man einige herbstliche Sachen übereinander und überstand die kalte Phasen.

Es waren die dicken und fetten Jahre für die türkischen Textilhersteller, weil viele Türkeistämmige in Deutschland als Textilverkäufer unterwegs waren. Mit Mustertaschen und -Koffern, zogen wir von Einkaufsbüro zu Einkaufsbüro der großen Einzelhandelsketten, aber auch Einzelgeschäfte. Wir sagten unseren Preis, es wurde verhandelt und der Auftrag geschrieben, oder nicht, aber verkaufte man was, wurde Geld verdient, denn die Preise machte der Hersteller.

Dann mussten die türkischen Textilhersteller das Heft aus der Hand geben.

Den Grund lieferten die Türkeistämmigen in Deutschland. Denn auf dem immer uninteressanter werdenden Textilmarkt, machte es kein Spaß mehr, Textilien zu verkaufen. Es lohnte sich für den Einzelnen nicht mehr, bei den geringen Stückzahlen, die jetzt abgerufen wurden, weil man sich an die großen Zahlen gewöhnt hatte. Ich kenne nicht wenige, die dann den Weg von den Textilien zu den Dönerbuden fanden und eigene Läden eröffneten.

Die Tatsache, dass die Türkeistämmigen in Deutschland sich vom Textilverkauf zurückzogen, brachte es mit sich, dass die türkischen Hersteller zeitweilig schlechte Absatzzahlen hatten und keinen Vertrieb. Das ist eine allgemeine Misere der Türkei, denn die wenigsten Unternehmen haben Vertriebsorganisationen. Zumeist sind es Einzelpersonen, die in der Zentrale sitzen und versuchen, International zu verkaufen. Nicht nur der Textilmarkt, auch der Einkauf regulierte sich neu. Immer mehr Textilagenturen entstanden in der Türkei. Die TextileinkäuferInnen gaben ein Stelldichein bei den Herstellern und orderten vor Ort in der Türkei. Was eine Arbeitserleichterung und wie die Lösung eines Problems für die Hersteller zu sein schien, hatte einen großen Haken, denn die Preise bestimmte nicht mehr der Hersteller, sondern der Einkäufer, die Einkäuferin, oder die Textilagentur vor Ort, die dann die großen Einzelhandelsketten in Deutschland vertraten. Vorbei war die Zeit des Geldverdienens, denn jetzt ging es nur noch ums Überleben.

Wenn eine 25 jährige Einkäuferin einem Textilfuchs von 65 Jahren vorführt

Ganz bitterer Moment, wo mir bewusst wurde, wie das Spiel gekippt war. Zur Erinnerung! Früher führten wir unsere Textilkollektionen den Einkäufern in Deutschland vor, nannten unseren Preis, gaben Preisnachlässe, die im Rahmen waren und verdienten Geld. An dem besagten Tag war ich mit einer 25 jährigen Einkäuferin einer großen Textilkette aus Deutschland, bei einem der großen türkischen Textilhersteller im Büro. Sie reichte dem Unternehmenseigner ein Sweat-Shirt rüber und fragte, wie der Preis wäre bei x – Stück. Der Textilfuchs schaute auf die Textilie, noch in der Hand der Einkäuferin und nannte seinen Preis. Pustekuchen! Das Spiel wurde mittlerweile anders gespielt. Passiert, wenn Du Deine Kunden zu Dir in die Türkei bittest und nicht selber bei ihm vorstellig wirst. Die Einkäuferin nahm Papier und Bleistift in die Hand und rechnete dem Textilfuchs vor. Sie kannte die türkischen Preise von Baumwollstoff, über Accessoires, bis hin zu Färberei-, Stickerei- und Druckpreise etc. bestens und sagte, dass der Einstandspreis 11,40 Euro wäre und ob der alte Textilfuchs mit 15% Unternehmergewinn einverstanden wäre. Eine schnelle Entscheidung war von Nöten, sonst würden wir zum Nachbarn, ebenfalls ein großer Textilhersteller, weiterziehen, und womöglich den Auftrag dort platzieren. Es dauerte noch einige Augenblicke, wo der Hersteller den Preis noch etwas höher treiben wollte, weil er ungefähr halb so hoch war, wie sein anfänglich aufgerufener Preis. Lange Rede, kurzer Sinn: Die Jägerin erlegte den alten Textilfuchs und platzierte den Auftrag bei ihm und zu ihren Konditionen.

Ein Spiegelbild der türkischen Wirtschaft.

Mein Beispiel oben zeigt exakt das Bild der türkischen Gesamtwirtschaft. Vertriebsteams sind Mangelware und verkauft wird zumeist, wenn der Kunde, der ja eigentlich König sein und hofiert werden sollte, zu einem kommt. Dann ist die Folge, dass der Kunde den Preis macht und nicht der Hersteller. Die türkischen Hersteller, die zumeist Produkte ohne Mehrwert über den günstigen Preis verkaufen müssen, legen sich noch einige andere Hürden auf. Der innere Schweinehund, ich weiß nicht, wie so etwas in der Türkei heißen könnte, evtl. den inneren Ali, steht als weiteres Hindernis im Wege. Kontaktiert man den Hersteller vom Ausland aus, wird man von der Zentrale hin und her verbunden, weil man mit dem ausländischen Kunden in einer fremden Sprache, zumeist Englisch, sich nicht in eine sprachliche Sackgasse begeben möchte. So verbindet man immer weiter, bis letztendlich einer das Gespräch annimmt. Klar, dass der Hersteller verkaufen möchte, aber zumeist reißen die Kontakte irgendwann ab. Nicht aus Desinteresse, nein, der innere Ali oder Aysche steht im Weg. Die Rückmeldung bleibt aus. Die türkischen Hersteller muss man fast nötigen, damit sie etwas verkaufen. Stellt man die Masterfrage am Ende des Jahres: “Wie war das Jahr für Sie?” kommt die Antwort: “Nicht schlecht, es waren viele da!” Negativ oder Positiv, der Kunde musste kommen und man war nicht beim Kunden. So kann man nur verlieren.

Die Chance der türkischen Wirtschaft sind die Türkeistämmigen in Deutschland

Das ist lange Jahre meine Hoffnung und Annahme gewesen, was sich aber als falsch herausstellte. In der Theorie würden die türkischen Produzenten, durch die niedrigen Löhne in der Türkei, günstiger produzieren und die in Deutschland gut bis sehr gut ausgebildeten Türkeistämmigen diese Produkte weltweit verkaufen. Es kam ganz anders und einige von meinen Hoffnungsträgern kamen sogar komplett von der Spur ab, dass sie einem Diktator zujubelten, die Kritiker des Diktators als Terroristen bezeichneten, selber für die von ihnen angeblich so sehr geliebte Türkei nichts taten und…

Mein Traum ist ausgeträumt, die Türkei ist auf dem Holzweg.

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