Welches der türkischen Städte hätte die meisten Einwohner, wenn es keine Zuwanderung gäbe?

Viele Denken, dass Istanbul die Nr. 1 nach Einwohnerzahl sein müsste.

Zuwanderung in die Großstädte der Türkei. Sie schauten 60 Jahre zurück und ermittelten, wie die Bevölkerungsentwicklung der türkischen Städte gewesen wäre, wenn die Menschen an dem Ort, wo sie geboren worden sind, geblieben wären.

Auch wenn das statistische Amt der Türkei TÜIK mittlerweile fest in AKP-Hand ist und alle Möglichkeiten hat, selbstgefälschte Statistiken zu veröffentlichen, wie die Inflationszahlen beweisen, so haben sie eine interessante Statistik dieser Tage veröffentlicht.

Eine Begegnung der besonderen Art vorweg

Dabei muss ich mich wieder an die Begegnung mit dem AKP Oberbürgermeister von Istanbul in 2006/2007 erinnern, als wir mit ihm, im Rahmen eines Türkei-Specials des Wirtschaftswoche Magazins, ein Interview machen wollten. Stundenlang erzählte er uns, von seinem genialen Plan, den Zuzug von Menschen von Anatolien in die Stadt zu verhindern, in dem er das Brot für die Einwohner der Stadt, aus anatolischen Bäckereien kaufen wollte. Egal was für eine Frage wir ihm stellten, wir landeten immer wieder beim Kauf von Brot aus Anatolien. Wahrscheinlich stellte er sich vor, dass die meisten Menschen in Anatolien beim Bäcker arbeiteten. Würde man das Brot von denen kaufen, würden diese gut verdienen, die MitarbeiterInnen besser bezahlen und neue einstellen und so würden diese Menschen weiter glücklich dort leben, wo sie geboren waren. Das Interview wurde natürlich niemals veröffentlicht. Im Falle einer Veröffentlichung würde man den Top-Wirtschaftsjournalisten des Magazins sicherlich gefeuert haben.

Welche türkische Stadt hätte die meisten Einwohner, wenn es keine Zuwanderung gäbe?

Kommen wir zu der neuen Studie. Şanlıurfa, in Südost-Anatolien, an der syrischen Grenze, auch schlicht Urfa genannt (arabisch الرها ar-Ruhā, armenisch Ուռհա Urha, kurdisch رها Riha, aramäisch ܐܘܪܗܝ Urhoy) und unter ihrem antiken Namen Edessa (altgriechisch Ἔδεσσα) bekannt, ist die Provinzhauptstadt der türkischen Provinz Şanlıurfa mit über 2 Mio. Einwohnern. Seit der letzten Gebietsreform ist die Stadt eine Großstadtkommune und damit flächen- und einwohnermäßig identisch mit der Provinz. Die Stadt wird als ruhmreiche Prophetenstadt Urfa bezeichnet, wäre mit 2.839.823 Einwohnern, der bevölkerungsreichste Stadt der Türkei. Ich weiß, unvorstellbar aber wahr. Die nächsten Städte wären dann Konya mit 2,6 Mio. und Istanbul mit 2,5 Millionen. Diesen drei Städten wäre an vierter Stelle Diyarbakir dicht an den Fersen. Diyarbakır (türkisch; osmanisch دیاربکر Diyâr-i Bekr, deutsch ‚Land von Bekr‘, kurdisch Amed, armenisch Ամիդ Amid, zazaisch Diyarbekir, aramäisch ܐܡܝܕ Amedu) ist nach Gaziantep die zweitgrößte Stadt Südostanatoliens in der Türkei. Diyarbakır liegt auf einem Basaltplateau am rechten Tigrisufer in Südostanatolien. Seit einer Gebietsreform ist die Stadt eine Großstadtkommune. Bereits im Altertum war sie unter dem Namen Amida bedeutend. In der Stadt leben überwiegend Kurden. Diyarbakır hätte 2,3 Mio. Einwohner, wenn alle dort geborenen, dort geblieben wären. Gefolgt von Izmir mit 2 Mio. Einwohnern.

Samsun 1.976.000, Sivas 1.950.000, Erzurum, 1.893.000, Bursa 1.826.000

Sanliurfa / Urfa – Die Stadt wird als ruhmreiche Prophetenstadt Urfa bezeichnet (Peygamberler şehri Şanlıurfa).

Weg von den Städten Ost-Anatoliens

Da die Großstädte Industriebetriebe, bessere Bildungsmöglichkeiten, touristische Anlagen u.a. aufwiesen, war der Zuzug aus Mittel-, Ost- und Südost-Anatolien unumgänglich. Investiert wurde anfänglich immer in die Infrastruktur der Großstädte wie, Istanbul, Ankara, Izmir, Antalya und erst dann kamen die anderen Städte dran.

Schaut man die Phase zwischen 1960 und 1990 an, so stellen wir fest, dass in den östlichen Gegenden der Türkei Blutrache, Morde, Vertreibung und Gewalt fast an der Tagesordnung waren. Also kann die bessere Entwicklung der Städte und die Suche nach Arbeit, nicht nur alleine eine Rolle gespielt haben, dass man die Heimatstadt verließ und weiterzog.

Zu Zeiten der Osmanen soll es nicht so einfach gewesen sein, einfach so mal weiter zu ziehen. Die Städte und Regionen hatten eigene Immigrationsgesetze und Regeln. Oftmals wurde ein Zuzug nicht akzeptiert. Erst mit der Republikgründung wurde alles freier und jeder durfte dort leben, wo er wollte.

Die Formel gegen Zuzug

Die Formel, den Zuzug in die derzeitigen Metropolen wie Istanbul, Izmir, Ankara, Antalya u.a. zu verhindern ist denkbar einfach, wie auch schwer in der Umsetzung.

Es ist ein leichtes, nach Ost-, Südost-Anatolien, oder in die unterentwickelten Regionen zu investieren, zumal die Arbeitskraft dort viel günstiger ist, als man mit dem niedrigen Mindestlohn auszudrücken vermag. Wie die syrischen Flüchtlinge, so kann man auch die Menschen in den genannten Regionen zu einem Bruchteil des Mindestlohns anheuern, wenn da das politische Umfeld stimmen würde und die Menschenrechte in der Türkei eine Rolle spielen würden. Das ist aber nicht der Fall. Das war schon vor der Ära Erdogan so, aber mit ihm wurde alles noch schlimmer, zumal er darauf anlegte, die Menschen, die Ethnien, die Völker gegeneinander auszuspielen. Derzeit auf friedliche Zeiten in der besagten Region zu hoffen, wird zu seinen Zeiten wohl nicht möglich sein.

Statt die qualitative Bildung nach Ost-Anatolien zu integrieren, verwässert man den gesamten Bildungsapparat der Türkei, zumal mündige Bürger für den politischen Islam eine Gefahr bedeuten. Verlangt werden, auch wenn ich die Schafe mag, eben solche Schafe, die dem Alleinherrscher blind folgen, nicht hinterfragen und sogar ihr Leben dafür opfern würden, ohne zu wissen, warum.

Einmal da und nie wieder zurück

Die Statistiken zeigen auf, dass 350.000 Menschen aus der besagten Stadt Şanlıurfa in Istanbul registriert sind und dort leben. Einmal da, gehen die wenigsten wieder zurück, auch wenn sie das Erhoffte in der Großstadt nicht antreffen. Schon stellt man sich auf die Probleme und Sorgen ein, die einen in der Großstadt begegnen.

Oft habe ich den Menschen, die aus Anatolien stammten und in der Großstadt lebten gefragt: „Möchtest Du nicht mehr in Deine Geburtsstadt zurück?“ Die Antwort war fast immer identisch: „Hier habe ich mein Auskommen, vielleicht, wenn ich sehr alt bin, kehre ich dorthin zurück und kann dort begraben werden.“

Es bleibt auch hierbei ein Wunschdenken. Da sind ja noch die Kinder, die nur die Großstadt kennen und in Ost- und Südost-Anatolien sich nicht zurechtfinden würden, zumal die Aussicht auf Arbeit, wie auch in der restlichen Türkei, kaum besteht.

Bodrum, ist einer der Rückzugsorte der Wohlhabenden, die der Großstadt den Rücken wenden.

Die, die sich leisten können, ziehen weg aus der Großstadt

In den 80er Jahren las ich mal in einer Zeitung, dass in Istanbul 500.000 Menschen lebten, die in der Stadt jeweils mehr als fünf Immobilien besaßen. Das war damals. Sicher ist die Zahl jetzt viel höher und bestätigt die Statistiken, dass eine Minderheit, die Masse des Vermögens im Land besitzt. Diese und einige andere, die aus freien Berufen kommen, wie Architekten, Werbeschaffenden, IT Spezialisten ziehen mittlerweile aus den Großstädten weg, zumeist in die Urlaubsgegenden, wo sie dem Trubel der Stadt und der Gefahr in einem mehrstöckigem Gebäude zu wohnen, für den Fall dass es mal wieder ein Erdbeben gibt, wie es öfter der Fall ist, weglaufen. Derzeit, auch zu Zeiten der schwersten Wirtschaftskrise der Türkei, lohnt es sich immer wieder, allerdings in Gegenden, die von Türken bevorzugt werden (Bodrum, Marmaris, Ayvalik…) in Villen Projekte zu investieren. Die Immobilien werden zumeist vom Reißbrett ausverkauft und das zu mehreren Hunderttausend Euro und Millionen Beträgen.

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