Auf dem Agrarsektor war mal die Türkei Selbstversorger

Unglaublich aber wahr, denn die Türkei kam bis vor 40 Jahren noch fast ohne Agrarimporte aus und wenn, dann ging es um Saat, Dünger, Pestizide und Tiere, zu Zuchtzwecken. Dass ab den 80er Jahren einige Lebensmittel und Agrarprodukte mehr importiert wurden, hatte eher damit zu tun, dass die Bevölkerung sich an zu Turgut Özal’s Zeiten importierten Produkte sich gewöhnte und nicht darauf verzichten wollte.

Heute sieht die Sachlage ganz anders, ja verglichen zu den o.g. Zeiten, katastrophal aus. Der Choreograph (Erdogan) und seine Tanztruppe (die AKP und seine Seilschaften) wollten das aber wieder in Ordnung bringen. Also das, was sie dem Land eingebrockt haben, wieder geradebiegen. Ob das geklappt hat… Hier ein Zwischenstand.

Immer ging es um 2023, dem 100. Jahr der Republik. Wenn ich darüber nachdenke, was für Ziele ausgerufen wurden, die bis dahin erreicht werden sollten, würden wir uns heute in einem Industrieland per Excellence wiederfinden, denn selbst das 2021 erreichte, hätte allen Türken gereicht und sie glücklich gestimmt.

Schauen wir mal nach, was im Agrarbereich erreicht wurde. Die Ziele wurden zwar schon um 2004 ausgerufen, jedoch wurden diese im Juni 2011 nochmals erneuert. Damals dachte ich für den Erdogan mit und sagte mir, dass er jetzt die Chance hat, alles Versprochene zu berichtigen. Tat er aber nicht, denn es ging wieder einmal auf die nächsten Wahlen zu, wo ja das Blaue vom Himmel versprochen wird. Wieder einmal unterstrich er, dass all die, die in der Türkei lebten, sich wie im siebten Himmel vorkommen würden. Daraus ist die siebte Hölle geworden.

Zu jeder Gelegenheit wiederholten der damalige Ministerpräsident und jetzige (leider) Präsident der Türkei und sein Agrarminister Mehdi Eker die Ziele: Eine Agrarproduktion von 150 Milliarden USD und ein Agrarexport von 40 Milliarden USD.

Was die weiteren Ziele im Agrarbereich waren?

  • Die Türkei sollte 2023 unter den Top 5 Agrarnationen der Welt zu finden sein.
  • Die Bewässerungsfähigen 8,5 Millionen Hektar sollten komplett bewässert werden.
  • Das Agrar- und Nahrungsmittelministerium sollte gegründet werden.
  • Die Schafe- und Ziegenzucht zur Fleischproduktion sollte gesondert gefördert werden. Dabei sollten die modernsten Aufzuchtverfahren eingesetzt werden.
  • Die Förderungen sollten, entsprechend der neu festzulegenden Agrarregionen erfolgen.
  • Die verstreuten Kleingrundstücke sollten zu großen Einheiten zusammengelegt werden.
  • Die Türkei sollte, was die Saatproduktion angeht, komplett auf den eigenen Füßen stehen.

Was ist davon Realität geworden?

Von diesen Zielen ist nicht eines realisiert worden. Einzig wurde zwar das Agrar- und Nahrungsmittelmittelministerium gegründet, aber auch da machte man einen Schritt zurück und nannte das Ministerium Nahrungsmittel- Agrar und Tierzuchtministerium. So waren die Worte ‚Agrar‘ und ‚Nahrungsmittel‘ wenigsten im Namen enthalten.

Wie sah es mit der Agrarproduktion und dem -Export aus?

2015 erreichte man mit 59,4 Milliarden USD den höchsten Stand der Agrarproduktion. Ende 2019 dann fiel dieser Betrag auf 48,5 Milliarden USD, das war noch vor der Pandemie, dass mir niemand damit kommt, dass es damit zusammenhängen würde. Ende 2020 war man bei den Agrarproduktionen bei 44,4 Milliarden USD angekommen. Unter 1/3 des ausgerufenen Zieles des Choreografen und seiner Tanztruppe. Kann man eigentlich noch weltfremder sein?

Für die Exporte an Nahrung waren 40 Milliarden USD ausgerufen. Laut der Welthandelsorganisation lag diese Zahl Ende 2019 bei 20,3 Milliarden USD. Hier lag man nur um die Hälfte unter der Schätzung, wobei man nicht vergessen sollte, dass parallel die Agrarimporte 19,8 Milliarden USD betrugen. Statt 8,5 Millionen Hektar, bewässert man heute ca. 6,7 Milliarden USD der Agrarfläche. Kurz und bündig: Die 2023 Ziele haben sich alle in Luft aufgelöst.

Was ist mit der Unterteilung der Türkei in Agrarzonen geworden?

Tatsächlich hat der Agrarminister seinen Vorschlag umgesetzt und die Türkei in 30 Agrarzonen unterteilt. So sollten die Fördermittel gezielt die Richtigen erreichen. Der Minister hat es aber mit den Fördergeldern nach Regionen nicht umgesetzt. Der Agrarminister ab 2017 wusste es noch besser und unterteilte die Türkei in 941 Agrarregionen. Umso besser, dann kann man noch gezielter fördern, dachte man, aber daraus wurde auch nichts.

Die Importe fördern und dabei den Bauern Gelder versprechen

Das Potential der Türkei im Agrarbereich ist enorm hoch, nur haben der Choreograph und seine Tanztruppe eigentlich genau entgegengesetzt von dem gehandelt, was sie versprochen hatten. Die Importe wurde besonders gefördert, so, dass sogar Bauern und Zwischenhändler, die seit Generationen mit türkischen Produkten handelten, zu Importeuren wurden. Gäbe es diese Importförderungen nicht, hätte der Agrarsektor auch ohne einen Plan ein Weiterkommen realisiert. Die Pandemie hätte für den Agrarsektor sogar eine Chance bedeutet. Bei der Devisenknappheit des Staates war die Chance da, auf Agrarprodukte aus türkischer Produktion umzusteigen. Dennoch, man ging den Weg des teuren Imports und steigerte die Importe.

Letzte Woche sprach der Agrarminister von den Zielen der Branche für 2030 und erwähnte mit keinem Wort die Ziele für 2023.

Das verlorene zweite Jahrzehnt hatte er gedanklich abgehakt, dennoch hatte er Lehren aus den Versprechungen seiner Vorgänger gezogen. Er hantierte nicht mit Multimilliarden von USD Umsätzen, sondern mit Multimillionen von Tonnen Produktion, die nicht so extrem ins Auge stechen würden, wenn man die Ziele wieder verpasst.

Eigentlich benötigt die Türkei nicht einmal einen Agrarplan.

Es würde reichen, wenn der Staat seinen Bauern liebt und nicht hasst. Eigentlich kann man, wohlgemerkt theoretisch, innerhalb weniger Jahre zum Selbstversorger bei den Agrarprodukten werden, aber praktisch ist das unmöglich. Nicht, dass die Bauern das nicht könnten, ganz im Gegenteil, man müsste sie nur machen lassen. Das Problem dabei sind die vielen ausländischen Unternehmen, die sich bei Agrarimporten die Schaltstellen der Türkei, dank dem Choreographen und seiner Tanztruppe, in den letzten 19 Jahren eingeheimst haben. Ihre Investitionen wären für den Müll, wenn man ein anderes Ziel ausrufen würde als den Import.

Deshalb wird die Regierung, unter dem Druck ausländischer Unternehmen, aber auch der Länderregierungen des Auslandes, Agrar verbal propagieren und Import in jeglicher Form fördern.

Was stellen wir fest?

Der (leider) Präsident hat eigentlich seine Mission zur vollsten Zufriedenheit erfüllt und die Türkei in absolute Abhängigkeit vom Ausland (Importe) gebracht. Wer diesen Mann weiter bejubelt und unterstützt, ist ein Feind der Türkei. Das sage nicht ich, sondern er, durch sein Handeln. Dabei rede ich nicht einmal von den Menschen(un)rechten im Land und der maroden Wirtschaft. Die Menschen im Land werden Tag für Tag immer ärmer, aber wen kümmert es.

 

Kaltstart X - Das Buch von Ahmet Refii Dener

Das könnte dich auch interessieren …