Zentralbank der Türkei: Wo sind die 130 Milliarden USD hin?

Die Statistiken muss man in der Türkei nicht einmal fälschen. Du musst nur wissen, welche Zahlen Du mit welchen anderen vergleichen musst, damit daraus etwas Positives herausspringt.

Damals, als vor dem Referendum zur Verfassungsänderung, damit er alleiniger Herrscher der Türkei wurde, die Terrorbomben in der Türkei hochgingen und wir in Alanya im Sommer ohne Touristen unter uns waren, gab es natürlich verdammt niedrige Touristenzahlen. Im Jahr darauf war es dann egal, wie gut oder wie schlecht die Zahlen waren, denn die Terrorbomben-Sommer zu überbieten, war kein Kunststück. So konnte man lesen, dass z.B. im Februar, eigentlich eine Zeit, wo auch die Russen in Winterschlaf sich befinden, die Zahl der russischen Touristen, die die Türkei bereisten, um 600% gestiegen waren (sechshundert). Das ist wie mit dem Bus, welcher mit einem Fahrgast losfährt. Steigen an der nächsten Haltestelle, weil dort gerade eine Schule aus hatte, dann 80 neue Fahrgäste ein, beträgt die Steigerung gleich 800%.

So spielt man mit den Zahlen der Wirtschaft so lange, bis man die geeignete Stelle zum Vergleichen gefunden hat. Kommen wir zur Realität zurück.

130 Milliarden USD der Zentralbank der Türkei haben auf nicht erklärbare Weise die Hand gewechselt. Dazu mehr Details unten.

Der Staat und die Zentralbank haben in 2021 ca. 63 Milliarden USD an Krediten zurückzahlen. Der private Sektor muss in 2021 126 Milliarden USD zurückzahlen. Das dürfte insofern kein Problem sein, wenn die Wirtschaft rundlaufen würde und die Zentralbank nicht in den Miesen wäre. Wo soll das Geld herkommen? Klar, es müssen neue Schulden gemacht werden, nur, man versucht den Speer in einem Sack zu verstecken. Die türkische Öffentlichkeit kann man damit zu täuschen versuchen, nur denkt man, dass die ausländischen Geldgeber nicht wissen, dass die Lage um die Türkei so ernst ist, wie niemals zuvor? Weiß irgendjemand, welche hohen Zinsen für solch ein großes Risiko für die Geber dann letztendlich die Türkei  und damit die Bürger, akzeptieren müssen? Zweistellige Zinsen werden fällig, wenn denn überhaupt Geldgeber gefunden werden. Jede Kreditaufnahme zu diesen Zeiten, bedeutet auch, dass man am Ende ein Stück Türkei, ein Stück Freiheit abgeben muss. Die Abhängigkeit vom Ausland wächst mit jeder Kreditaufnahme.

Die ausländischen Anleger operieren vorsichtig.

Der Anteil der ausländischen Anleger machte letzte Woche ca. 46% aus. Letztes Jahr,  Ende Januar,  lag der Anteil bei 65,79%.

Den größten Rückgang sollen dabei die norwegischen Staatsfonds verzeichnet haben. Von 1,3 Mrd. USD Gesamtinvestitionen, schrumpfte deren Investitionen auf ca. 800 Mio. USD. Also haben sie durch die letzten Monate fast 500 Mio. USD aus der Türkei abgezogen. Prozentual gesehen haben die Saudis, das meiste Geld aus der Türkei abgezogen. Von einer Gesamtanlage von insgesamt 412 Mio. USD, schrumpfte die Anlage der Saudis auf 192 Mio. USD. Eine Steigerung gab es bei Katarern, bei den Spezis von Erdogan, deren Einlagen an der Istanbuler Börse stiegen in einem Jahr von 84 Mio. USD auf 582 Mio. USD. Bekannt ist aber, dass die Katarer an der Istanbuler Börse nicht so viel investieren, wie sonst im Lande, wo sie die tragenden Unternehmen des Landes und viel Land u.a. kaufen. Das machen sie aber nicht durch ausländische Direktinvestitionen (ADI), sondern über ihre türkischen Unternehmen, wo sie nur als Gesellschafter auftauchen und investieren über diese. So fällt es nicht auf, dass sie das Land aufkaufen.

An der Börse Istanbul werden die nächsten Tage noch mehr Abgänge von ausländischen Investitionen verzeichnen, sagen die Analysten, zumal sich anderswo neue Märkte auftun, wo die politischen und/oder wirtschaftlichen Verhältnisse des jeweiligen Landes klarer definiert sind.

Wo sind die 128 Milliarden USD Reserven der Zentralbank hin?

Zuletzt sagte der ehemalige Präsident der Zentral Bank Durmuş Yılmaz, eigentlich ebenfalls ein Mann der AKP: „Bei der türkischen Zentralbank habe ich 35 Jahre gearbeitet. Es gab Phasen, wo es eng wurde mit den Devisen, es gab Phasen, wo die Devisen gegen null tendierten aber einen Zustand, dass die Reserven ein Minus vorne auswiesen, habe ich weder erlebt noch gehört.“ Der sozialdemokratische Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu fragte: „Wer hat das Geld? Haben es die Rentner, die Landarbeiter, die Coiffeure… wer hat das Geld?“

Wo sind die 128 Milliarden USD Reserven der Zentralbank hin? Wie konnte das passieren und wohin ist das Geld hin?

Devisenreserven nennt man den Bestand an liquiden internationalen Zahlungsmitteln, auch Währungsreserve genannt. Mit diesen Reserven werden auch die Auslandsverpflichtungen des Landes bedient. z.B. die o.g. Multimilliarden Beträge, die ich beziffert habe. Um sich Devisenreserven anzusparen kann die Zentralbank sich diese vom freien Markt kaufen. Das ist eines der Instrumente. Das tut er aber schon lange nicht mehr.

Wann fing es mit dem Schrumpfen der Devisenreserven der türkischen Zentralbank an?

Eigentlich schon 2011. 2013 beschleunigte sich das Ganze. In der Phase, wo Erdem Başçı an der Spitze der Bank stand, wurde oftmals in den Markt eingegriffen. Das hatte zur Folge, dass ca. 30 Milliarden USD verkauft wurden. 2016 wurden dann die Verkäufe gestoppt, bis sie 2019 wieder Fahrt aufnahmen. Ab da wurde das ganze recht mysteriös und intransparent. Hinter verschlossenen Türen machte sich die Zentralbank ein Sonderrecht zunutze und verkaufte die Devisen über die Staatsbanken. Der damalige Präsident der Bank wollte diese Regelung zwischen dem Schatzamt und der Zentralbank kippen,  schaffte es aber nicht. Um die Steigerung der Devisenkurse im März 2019 zu bremsen, wurden immer mehr Devisen verkauft. Allerdings waren damals noch Reserven vorhanden.

Wann gingen die Reserven ins Minus?

Im Juli 2019 wurde Murat Çetinkaya gegen Murat Uysal an der Spitze der Zentralbank ausgetauscht. Der Grund war eigentlich, dass er nicht dem Wunsch des Präsidenten entsprechend schnell reagierte, um die Zinsen zu senken. Den Todesstoß setzte Murat Çetinkaya sich selber, als er dem Präsidenten eine Notiz schickte, mit der Aufforderung, die Devisenverkäufe dringendst zu stoppen. Mit dem neuen Chef der Zentralbank, Murat Uysal, nahmen die Devisenverkäufe wieder richtig fahrt auf. Im Mai 2020 machte die Türkei mit Negativ-Reserven Bekanntschaft. Im Oktober 2020 betrugen die Reserven der türkischen Zentralbank Minus 48 Milliarden USD.

In diese Zeit hinein wurde dem Präsidenten von seinen Beratern, die Meinung übermittelt, dass der türkische Finanzmarkt massiv von auswärtiger Kräften angegriffen werden würde. Würde man keine Devisen verkaufen, so würden die Zinsen ins unermessliche steigen, glaubte man.

Warum hat man dann weiter verkauft, als die Reserven schon im Soll waren?

Eigentlich agierte man mittlerweile wie der Spielsüchtige, der zwar immer verlor, aber noch an seine Chance glaubte. Je mehr die TL an Wert verlor, umso mehr Devisen wurden verkauft. Als die Reserven der Zentralbank nicht mehr reichten, öffneten die staatlichen Banken ihre Reserven und halfen mit. Damals wollte man den USD gegenüber der türkischen Lira unter 7 TL halten, was nur kurz gelang.

Wie viel Reserven wurden verkauft? Die Antwort lautet wohl 130 Milliarden USD. Dem Widersprechen tut niemand, aber kann auch niemand sagen, wo das Geld geblieben ist. Wer dafür verantwortlich ist, ist die andere Frage. Den Schuldigen sucht man in der Bank, wer am Ende das Ganze ausbaden wird, wenn überhaupt, werden wir sehen.

Wer hat die Devisenreserven der türkischen Zentralbank bekommen?

In etwa 60% der Reserven gingen an ausländische Käufer. Den Rest bekamen die türkischen Anleger. Das wird zumindest so gesagt. Die Aktion hat den ausländischen Anlegern genutzt, die die Türkei sowieso verlassen wollten und auf eine Chance warteten. So tauschten sie ihre TL günstig in Devisen um und weg waren sie. Auch wenn behauptet wird, dass AKP nahe Gruppierungen davon profitiert hätten, so scheint das sehr unwahrscheinlich zu sein, denn die Verkäufe wurden auf für Ausländer offenen Plattformen getätigt.

Warum es gefährlich ist, wenn die Reserven nicht mehr vorhanden sind?

Die Türkei weist chronisch Handelsbilanzdefizite aus. Diese müssen, weil die Devisen nicht erwirtschaftet werden konnten, aus den Reserven der Zentralbank beglichen werden.

Die kurzfristigen Kredite des Staates und der privaten Wirtschaft müssen bedient werden. In diesem Jahr an die 190 Milliarden USD. Dafür muss die Zentralbank genügend Reserven besitzen, für den Fall, dass die Schuldner, nicht genug Kredite woanders organisieren können. Nur muss die Zentralbank ihrerseits schauen, woher sie Gelder bekommt.

Wie kommt die Zentralbank zu neuen Reserven?

Das scheint derzeit nicht möglich zu sein. Die Zentralbank müsste als Käufer auftreten, nur das ist gefährlich, denn da würden die Devisenkurse in noch nie dagewesener Art und Weise in die Höhe schießen.

Ganz bitter, in welche wirtschaftlichen Abgründe die Türkei durch den (leider) Präsidenten und seiner Tanztruppe durch die letzten 20 Jahre geführt wurde. Eine ausweglose Situation. Wer gibt einem Geld, der keine Einnahmen hat. Nochmals zur Erinnerung: Die Exportumsätze werden von den Importumsätzen aufgefressen. Die Tourismusumsätze, auch ohne die Pandemie, können alleine nicht ausreichen, um das Rad zu drehen.

Letztes Jahr konnte durch ein Swap Abkommen mit dem  Katar, eine zeitweilige Linderung an der Devisenfront bewirkt werden. Derzeit sind Gespräche mit China und Südkorea im Gange, aber die Beträge sind so gering, dass dieses nicht viel bewirken dürfte.

Wie es für die türkische Wirtschaft und die Zentralbank im Besonderen weitergehen wird… Vielleicht sollte man zu einer guten Kartenleserin gehen.

 

 

 

 

 

 

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