Brücken-Lockdown der Menschenrechte in der Türkei und die EU macht mit

Was auf den kleinen Dienstweg erledigt werden könnte, wird zu einem großen Schauspiel. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel werden heute vom (leider) Präsidenten der Türkei empfangen. Für das Treffen liefert er in seinem Prunkpalast die große Bühne dafür.
Der eigentliche Hintergrund des geplanten Gesprächs mit Erdogan ist der Beschluss des EU-Gipfels vor eineinhalb Wochen, heißt es in den türkischen Medien. Bei diesem Gipfel hatten sich die Staats- und Regierungschefs darauf verständigt, die Beziehungen zur Türkei schrittweise wieder auszubauen. Vergessen, warum man die Verhandlungen auf Eis gelegt hatte? Was hat sich denn zum Besseren verändert, dass man es gerade angeht? Nichts, es ist sogar schlimmer als jemals zuvor.
Was die türkischen Medien beiläufig erwähnen, dürfte wahrscheinlich der Hauptgrund der Reise sein, denn die beiden EU-Spitzen werden mit Vertretern von Organisationen der Vereinten Nationen und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zusammenkommen. Bei diesem Treffen dürfte es vor allem um die zukünftige Unterstützung der syrischen Flüchtlinge in der Türkei gehen.
Das alles passiert zu einem Zeitpunkt, wo der (leider) Präsident der Türkei den Boden unter den Füßen zu verlieren scheint. Eigentlich hat er Ärger an allen Fronten. Besonders der Wirtschaft geht es miserabel, zumal die Türkei dringend einige Hundertmillionen Euros braucht um die Wirtschaft wieder aufzurichten und die Auslandschulden des Staates und der privaten Wirtschaft zu bedienen (über 400 Milliarden EUR ohne Zinsen). Kommen könnte solch ein Betrag nur von der IWF, weil nur dieser über die Kontrollmechanismen verfügt, damit die geliehenen Gelder auch zurückfließen. Nur die einzig existierende Quelle, die IWF, wenn man von zeitweiligen Finanzspritzen aus Katar oder China absieht, die als Sicherheit immer ein Stück Türkei mitnehmen, ist ein Weg, den beide Seiten nicht bestreiten würden. Für Erdogan ist die IWF ein rotes Tuch. Nur in äußerster Not, eigentlich müsste er jetzt, würde er auf die IWF zugehen. Auf der anderen Seite würde die IWF der Türkei nur unter schwersten Auflagen, die Erdogan zu akzeptieren nicht bereit wäre, Geld leihen. Eigentlich gar nicht, solange Erdogan noch da ist.
Erdogan ist in einer ausweglosen Situation und gerade damit beschäftigt das Wahlsystem für 2023 so zu verändern und anzupassen, damit er irgendwie noch die Oberhand behält und an der Macht bleibt.
Die beiden EU-Spitzen kommen, aus der Sicht von Erdogan, gerade zur rechten Zeit. Diese wird er sicher in seinem Palast empfangen und den türkischen Medien alles so verkaufen, als ob die EU hinter ihm hinterherlaufen würde. Tut sie ja auch.
Warum?
Schon 2002, also vor 19 Jahren, führte Erdogan den Brücken-Lockdown der Menschenrechte in der Türkei ein. Seitdem müssen die Menschen, die ihm nicht treuergeben folgen, mit Gefängnis, Verlust von Beamtenstatus, Dauerbeurlaubung auf Lebenszeit, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte u.a. rechnen. Sie dürfen und müssen sich in der Türkei aufhalten, dürfen aber nicht am Leben teilnehmen, auch die Familienangehörigen nicht. Die Familien nicht mitgerechnet, reden wir von über 300.000 Menschen.
Der fünfte Jahrestag des Flüchtlingsabkommens der EU mit der Türkei steht an. Soll evtl. gefeiert werden? Warum dürfen diese Menschen, die in ihren Ländern zumeist in der Politik nicht mehr untergebracht werden können und ins EU-Parlament abgeschoben wurden, für die Türkei Schicksal spielen?
Nicht nur, dass sie einen Präsidenten unterstützen, der eigentlich sich auf dem absteigenden Ast befindet, sie schüren auch Hass unter der türkischen Bevölkerung. Was glaubt die EU, wie das bei der wirtschaftlich leidenden Bevölkerung der Türkei ankommt, wenn Erdogan Multimilliarden Hilfen für die Flüchtlinge bekommt, aber nicht für sein eigenes Volk? Es gibt schon lange Spannungen zwischen den Flüchtlingen und den Türken, zumal die Flüchtlinge erstaunlich viele Rechte haben und sogar, unter Duldung der Behörden, ohne Papiere und fast zum halben Mindestlohn, überall im Land arbeiten dürfen.
Bravo EU, weiter so!