Wie wird man in der Türkei reich?

Die Luxusfahrzeuge kosten in der Türkei das doppelte bis 2,5 fache von Listenpreis im Ursprungsland. Die Zölle und Luxussteuern machen den Preis aus.

Die Superreichen der Türkei sind die, die es schafften, früher wie jetzt, an staatliche Aufträge dranzukommen. Die beiden Top-Industrie-Konglomerate Koc und Sabanci sind, auch wenn schöne Legenden über die Gründer existieren, wie sie zu Geld kamen, letztendlich nur durch staatliche Aufträge so groß geworden, dass die Gründerfamilien heute unter den Reichsten der Welt auftauchen. Einmal in Fahrt gekommen, hatten sie in der Türkei keine Konkurrenz zu fürchten. Überhaupt scheut man in der Türkei die Konkurrenz, denn ist einer in einer Branche zu mächtig geworden, macht der andere woanders weiter. Gefühlt, bin ich der Meinung, dass die Reichen der Türkei richtig reich sind, zumal sie über enorme Schwarzgeldkassen verfügen, die sie entweder in der Schweiz u.a. haben, oder aber in Beton getarnt verstecken, sprich: Bauen ohne Ende. Wie sie früher zu Schwarzgeld kamen, war recht einfach, denn es gab die Mehrwertsteuer nicht und folglich konnte der Staat die Waren- und Umsatzflüsse nicht nachverfolgen, wollte auch gar nicht, denn alle verdienten gut dabei. Erst mit dem damaligen Ministerpräsidenten Özal wurde Anfang der 80er Jahre die Mehrwertsteuer eingeführt. Sogar Privatpersonen mussten die Kassenbons sammeln, damit sie die MwSt. dann vom Staat zurückerstattet bekamen.

Ich kann mich gut erinnern. Als ich mich an einem Geschäft beteiligte, sagte mein Geschäftspartner, dass wir immer „Giveaways“ haben müssten. Auf die Frage, wozu das gut sein sollte, sagte er: „Wer von uns keine Rechnung verlangt, also schwarz kauft, bekommt immer ein kleines Geschenk immer mit.“

Auch kann man in der Türkei als Händler/Großhändler Geld machen, wenn man die Ware hortet und dann auf den Markt schmeißt, wenn die Preise gestiegen sind. Das geht in der Türkei wesentlich schneller als anderswo. Neben den Weltmarktpreisen, spielt es in der Türkei natürlich eine Rolle, wie die türkische Lira zu der Leitwährung USD und Euro steht. Traditionell steht sie immer schlecht. Auch wenn ab und an die Währung stabil zu sein scheint, so sind die ausländischen Währungen immer stärker und werden auch immer stärker bleiben.

Ich bin in den 90er Jahren im Büro eines Plastiktütenherstellers gewesen. Dort kam einer vorbei, der PE-Granulate im Wert von 15 Millionen USD anbot. Ich weiß nicht, um welche Mengen es ging, aber der Preis muss gut gewesen sein, dass die Parteien nach kurzem feilschen schnell handelseinig wurden. Mein Bekannter kaufte die Granulate für knapp 12 Mio. USD. Eigentlich war die Sache für mich vergessen. 2002 oder 2003 traf ich den Käufer zufällig wieder. Wir haben über allerlei Dinge gesprochen und dabei fiel mir sein Deal von damals ein. Er musste lange überlegen und sogar seinen Vater, der eigentlich den Deal damals machte, anrufen, um zu erfahren, wie es danach ablief. Der Vater sagte wohl, dass die gekaufte Menge zu günstig war, aber eigentlich nicht sofort für die Produktion eingesetzt wurde. Erst einige Jahre später wurden die Granulate zur Plastiktütenproduktion verwendet und zu der Zeit, als die Granulate in der Produktion eingesetzt wurden, kosteten sie in dieser Menge ungefähr 90 Mio. USD, sagte mein Bekannter. Also hatte der Käufer, mit der Lagerware in 4-5 Jahren fast 80 Mio. USD verdient, ohne einen Finger dafür krumm zu machen. Nur durch Lagerung der Ware.

Das ist die Türkei. Auch habe ich in Bodrum einmal erlebt, als wir für eine deutsche Hotelkette, ein 40 Millionen USD Grundstück uns anschauten, welche bettelarme Menschen, wertvolle Grundstücke besaßen. Die Eigentümer waren drei Brüder, die das Grundstück vom Vater geerbt hatten. Alle drei waren zwischen 20 und 30 Jahre alt. Einer war arbeitslos, der andere war ein Schiffskoch und der dritte kellnerte in einem Kebap-Restaurant. Meine Auftraggeber waren nicht bereit zu kaufen, aber keine zwei Jahre später, standen dort an die 100 Villen auf dem Grundstück. Ich stellte mir die Brüder vor, die tatsächlich zu diesen 40 Mio. USD gekommen waren. Wie haben sie diesen Reichtum wohl verkraftet, oder sind sie daran zugrunde gegangen? Es gibt unzählige solcher Beispiele in der Türkei.

Es gibt z.B. die Gecekondu in der Türkei, dass sind die sogenannten „Übernachtbauten“. Soll heißen, wenn du auf einem städtischen Grundstück ein Gebäude Marke Eigenbau hochziehst, ohne dass davon jemand Wind bekommt, damit ist die Bauphase gemeint, kannst du darin wohnen. Um dich dort wegzubekommen, müsste man erst einmal klagen. Wenn du lange genug drin gewohnt hast und die nächsten Kommunalwahlen anstehen, möchte man ja Schönwetter machen, auf der Seite des OB’s. Also legalisiert man manche dieser Bauten und gibt den Bewohnern Grundbucheintragungen. So werden bettelarme Menschen, auf einmal zu Grundstückseignern, z.B. in Istanbul. Von null auf eins. Es gibt aber auch kriminelle Gruppen, die das mit Planung realisieren. Die Gegend, die sie besetzen bzw. kann man ja wie im Krieg sich ausdrücken, ‚einnehmen‘ möchten, besetzen sie zuerst mit hunderten von Übernachtbauten. Bauen tun diese Häuser frisch aus anatolischen Dörfern geholten Menschen, die dann auch die Bauten bewohnen. Kommen dann die Wahlen und alles wird legalisiert, sind die Mafiosi wieder da. Die Bewohner der Häuser bekommen einige Tausend TL und überschreiben die Grundstücke den Mafiosi, die dann somit über viel Land in Istanbul oder woanders verfügen.

Ihr merkt, es geht heutzutage nur über solch krumme Wege, dass man schnell zu Reichtum kommt, oder ihr tretet gleich als Mitglied der AKP bei, aber besser ist dann, dass ihr eine Funktion in der Partei innehabt, weil wer nicht zum harten Kern zählt, kann schlecht was bewegen. Die kriminelle Energie solltest du auf jedem Fall dabei haben.

Am liebsten erzähle ich die Geschichte von einer Rentnerin von knapp 80 Jahren, die sogar in Ruhestand, noch Schmiergelder kassierte. Sie war Bauamtsleiterin in einem Stadtteil von Istanbul und war bereits 1984 in Rente gegangen. Ich begegnete ihr 2006, also genau 22 Jahre später. Eigentlich begleitete ich auf dem Weg in die Stadtverwaltung einen Dienstleister, dessen Aufgabe es war, städtische Genehmigungen zu beantragen und einzuholen. Er sagte, das er bei Fatma Hanim, (Name geändert) vorbeifahren wolle, nur ganz kurz, um eine Unterschrift zu holen. Die gebrechliche Dame bat uns rein. Wie in der Türkei üblich, zogen wir unsere Schuhe vor der Tür aus und traten mit den zur Verfügung gestellten Pantoffeln in ihr Wohnzimmer ein. “Ich habe frischen Tee, möchten Sie?” Immer machte ich den Fehler, dass ich auf nüchternen Magen “Ja!” sagte. Danach wurde mir zwar immer kotzübel, aber ich sagte immer “Ja”. Der Dienstleister holte irgendwelche Pläne aus der Tasche und breitete auf dem Tisch aus. Es war der Plan eines vierstöckigen Hauses, worauf noch ein 5. und 6. Stockwerk zusätzlich gezeichnet und mit dickem Filzstift rot straffiert waren. Später erfuhr ich, dass man dazu “Rot-Markieren” sagt, wenn man etwas bei einem bestehenden Gebäude als Erweiterungsbau neu zeichnete und sich genehmigen ließ. So konnte jeder jederzeit sehen, worum es ging, nämlich auf die “Rot-Markierte” Stelle. Der Dienstleister hatten an der Stelle, wo die alte Dame unterschreiben sollte, den Datum 02. 04. 1983 eingetragen. Das war ein Jahr vorher, bevor sie dann in Rente ging. Mit zittriger Hand unterschrieb sie und bekam einen Umschlag mit, wie ich später erfahren sollte, 20.000 TL. Nur zur Info: 2006 betrug der Mindestlohn in der Türkei 550 TL.

Der Job war erledigt. Jetzt erfuhr ich auch, dass die Dame dick im Geschäft war. Egal wo was in diesem Stadtteil illegal gebaut werden sollte, trat sie auf den Plan und unterschrieb unter der “Rot-Markierten” Stelle. Wie viele mag es von solchen in der Türkei geben, dachte ich mir. Eigentlich war ich richtig benommen von dem was ich sah und vergaß meine eigenen Probleme. Wir kamen bei der Stadtverwaltung exakt zur Mittagspausenzeit an. Was ich als ein Pech empfand, war vom Dienstleister geplant gewesen. Wir gingen gezielt in den zweiten Stock, wo ein junger Typ von ca. 16 Jahren auf uns schon wartete. Er war der Laufbursche, von denen es viele gibt in den Ämtern. Der Dienstleister gab ihm den rotstraffierten Plan mit der Unterschrift der Dame. Die beiden sprachen kein Wort miteinander. Der Junge ging gezielt in das Zimmer des Bauamtsleiters, der natürlich in der Mittagspause war und benutzte seinen Stempel. Genau mittig auf die Unterschrift der Dame platziert, so, als wäre dieser Unterschrift schon 1983 da drauf gekommen. Der Junge bekam 1.000 TL in die Hand gedrückt, also fast den doppelten Mindestlohn. “So bring das jetzt ins Archiv!” sagte der Dienstleister zum Jungen, was er auch umgehend tat.

Im weiteren Verlauf würde der Eigner des Hauses bei der Stadtverwaltung einen Antrag stellen, um weitere 2 Stockwerke auf das bestehende Gebäude zu setzen und sich dabei auf eine Genehmigung berufen, welches schon 1983 erteilt wurde. Der jetzige Baumamtsleiter würde wieder den Jungen bitten, die Pläne aus dem Archiv zu holen. Er würde zweifelsfrei erkennen, dass der Antrag schon 1983 abgesegnet war und würde ebenfalls seinen Segen dafür geben. Schon kann gebaut werden.

Jetzt kann man darüber staunen, aber auch das Ganze ganz, ganz schlimm finden. Auf der anderen Seite aber, was ich aus Erfahrung weiß, gibt es in der Türkei wirklich nichts, absolut nichts, was man nicht gerade biegen könnte.

Es gibt natürlich auch Wege, wie man legal zu Geld kommt. z.B. fängt man am besten an Grundstücke zu sammeln. Diese kauft man weit außerhalb der Stadt, damit sie günstiger sind, wohlwissend, dass die Stadt in den nächsten 2-5 Jahren bis dahin wachsen wird, wo die eigenen Grundstücke sind. Manchmal passiert es in noch kürzerer Zeit. Klar, die Baubranche kommt derzeit nicht weiter, zu Zeiten der Wirtschaftskrise der Türkei und der Pandemie, aber bei absoluten Luxusvillen, die in geschützten Anlagen sich befinden müssen, gibt es immer einen Markt. Es gibt viel Geld in der Türkei, viel Schwarzgeld und das muss irgendwohin.

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