Meine Kolumne aus dem TAGESSPIEGEL – Zack! Ein Kopftuch.

Egal was Du machst, es ist falsch. Lebst du in der Türkei auf großem Fuß, heißt es: „Mach sachte!“. Lebst du ein ruhiges Leben, heißt es: „Du lebst gar nicht, du bist tot.“ Lebst du mittelprächtig, heißt es: „Noch monotoner geht es wohl nicht.“ Lachst du viel, heißt es: „Der lacht die ganze Zeit, wie ein Verrückter.“ Weinst du, wissen alle, dass du Depressionen hast. Schweigst du, heißt es: „Hast du deine Zunge verschluckt.“ Sprichst du viel, heißt es: „Kannst du nicht einen Moment still sein?“ Arbeitest du viel, nennt man dich einen Bauarbeiter. Tust du mal nichts, bist du ein fauler Sack. Egal was du machst, du kommst bei deinem Gegenüber in der Türkei niemals gut an. Und nimm’ keine Ratschläge an, sonst sagen sie: „Jetzt weißt du was passiert, wenn du immer auf andere hörst.“
Die Türken leben immer für ihr Umfeld. Motto „Was sollen die Leute denken?“ So machen sie sich das Leben schwer und schaffen ein weiteres Problem: der politische Islam kommt leichter voran. Ein Bekannter bewirbt sich um einen Arbeitsplatz. Das Gespräch verläuft sehr gut. Das Büro des Chefs ist modern eingerichtet, hinter ihm hängt ein Bild von Atatürk. Schon fühlt sich mein Bekannter wohl. Der mögliche Arbeitgeber ist von ihm angetan und es sieht so aus, als würden sie zusammenkommen. Das wäre nicht schlecht, denn mein Bekannter ist schon zwei Jahre arbeitslos und bekommt kein Arbeitslosengeld. „Möchten Sie Tee oder Kaffee?“, fragt der Geschäftsführer und Firmeneigner. „Kaffee bitte, schwarz!“, sagt mein Bekannter. Der Chef bestellt per Telefon zwei Kaffee schwarz. Mein Bekannter freut sich, dass die Geschmäcker übereinstimmen, typisch türkisch eben. Jeder Handlung, jedem Ereignis wird eine Bedeutung zugeschrieben. Dann der Schockmoment: „Ist Ihre Frau Kopftuchträgerin?“ Schluck. Eigentlich nein, aber was soll er jetzt antworten. Tendenziell müsste er „nein“ sagen, zumal da hinten das Bild von Atatürk hängt, der immer für eine laizistische Türkei war. In dem Moment… Klopf, klopf! Die Tür geht auf und eine vollverschleierte Frau bringt Kaffee. Mein Bekannter antwortet: „Sie ist bedeckt!“, heißt, sie trägt Kopftuch. Er wird eingestellt.
Zuhause angekommen sagt er seiner Frau, sie möge ab sofort Kopftuch tragen. Die Nachbarn sehen das und denken, mein Bekannter und seine Frau wären AKP-Anhänger. Die Frauen im Haus geraten unter Druck. Was sollen die anderen denken? Also bedecken sich die meisten, eine nach der anderen. In Deutschland läuft das unter den Muslima nicht anders.