Die Geschichte um die Tempo-Taschentücher – Als Mitläufer werden Personen bezeichnet…

Foto: tempo-world.com

Zufällig begegnete ich der Geschichte um die „Tempo“ Taschentücher. Mich hat die Geschichte umso mehr interessiert, als ich lesen musste, dass ein sogenannter „Mitläufer“ des Nationalsozialismus damit zu tun hatte und die Geschichte der Marke entscheidend beeinflusste, ja gar komplett veränderte.

“Als Mitläufer werden Personen bezeichnet, die an einer Gruppierung, Bewegung oder Strömung anschließen, ohne sich wirklich zu engagieren. Mit der Wortverwendung ist meist eine negative moralische Bewertung der so charakterisierten Person verbunden.”

Wir wissen alle, dass die Marke mit der Zeit zu einem Gattungsbegriff wurde. Fast alle Marken von Papiertaschentüchern werden im deutsprachigem Raum, „Tempo“ genannt. In der englischsprachigen Welt heißen sogar die Tempo’s „Kleenex“. So etwas gibt es auch in der Türkei. Dort heißen alle Papiertaschentücher allesamt „Selpak“, eigentlich eine eigenständige Marke, wie Tempo und Kleenex.

Die Geschichte zu „Tempo“

Das Einweg-Papiertaschentuch aus Zellstoff war die Produktidee der beiden führenden Inhaber der Vereinigten Papierwerke AG, Oskar Rosenfelder (1878–1950) und seinem Bruder Emil Rosenfelder (1861–1945/1946). Bereits am 29. Januar 1929 ließen sie das Warenzeichen Tempo beim Reichspatentamt in Berlin anmelden. Obwohl Kleenex schon 1924 Papiertaschentücher auf dem Markt hatte, so wurden diese in erster Linie als Kosmetiktücher benutzt. Auch die Markeneintragung von Kleenex erfolgte, die von Tempo, in 1929. Die Brüder Rosenfelder empfanden die Zeit als schnelllebig und kamen so auf den Markennamen.

Das Stammwerk der Vereinigten Papierwerke befand sich in Heroldsberg bei Nürnberg, wo bereits vor 1929 Hygieneartikel hergestellt wurden. In den Jahren bis 1933 übernahmen erst Heimarbeiter und später Wohlfahrtswerkstätten in Nürnberg das Falten der Taschentücher. Mit dem durchgängigen Einsatz von Verarbeitungsmaschinen konnte das Produktionsvolumen auf 150 Millionen Stück im Jahr 1935 gesteigert werden.

Arisierung der Firma 1933–1935

Oskar und Emil Rosenfelder waren jüdischer Herkunft und zählten bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten zu den angesehensten Unternehmern Nürnbergs. Unter dem Vorwand, er habe Kantinengeld unterschlagen, bedrohte die NSDAP Nürnberg bereits kurz nach Hitlers Machtübernahme Oskar Rosenfelder und forderte 12.000 Reichsmark von ihm. Rosenfelder bezahlte die Hälfte und durfte vorerst gehen. Die Nazis zwangen die Brüder, die Firma zu verkaufen. Beide hatten zusammen knapp 56 % der Aktien besessen, den Rest besaßen andere jüdische Anteilseigner.

Nur knapp vor der Verhaftung gelang es den Rosenfelders im August 1933, vor den Nazis nach England zu fliehen. Sie hatten vorher noch versucht, durch eine Firmengründung in England die Besitz- und Verfügungsrechte des deutschen Unternehmens dorthin zu übertragen. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg eröffnete jedoch ein Verfahren wegen angeblichen Devisenvergehens und beantragte die Beschlagnahmung des inländischen Vermögens, dem das Landgericht Nürnberg-Fürth kurze Zeit später folgte. Es wurde ein Abwesenheitspfleger bestellt und die Deutsche Bank, die den Brüdern noch kurz zuvor ein Darlehen gewährt hatte, suchte nun einen Käufer für das Aktienpaket, das als Sicherheit für den Kredit hinterlegt worden war. So wurde dem nationalsozialistischen Ziel entsprechend die Arisierung der Firma eingeleitet und das Aktienpaket ging für einen Bruchteil ihres tatsächlichen Wertes an einen der größten Unternehmer in der NS-Zeit: Gustav Schickedanz.

Der Fürther Unternehmer und NSDAP-Stadtrat, Gründer des Versandhauses Quelle, der als „Günstling der Gauleitung“, wie die Nazis festhielten”, galt, kaufte im Jahr 1934 dieses Aktienpaket zu einem Kurs von 110 %. Der tatsächliche Wert hätte 140 % des Nominalwerts der Aktien betragen. Durch den Kauf hatte sich Schickedanz in eine nicht unerhebliche Abhängigkeit von den lokalen NSDAP-Parteigrößen begeben, was er durch eine Parteispende von 20.000 Reichsmark kompensiert haben soll. Im Jahr 1935 erwarb Schickedanz die restlichen Anteile an dem Unternehmen. Zugleich sicherte er sich damit die Markenrechte an Tempo.

Um die steigende Nachfrage zu erfüllen, hatte Schickedanz die Papierwerke in Forchheim gekauft. Im Jahr des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges betrug das Produktionsvolumen 400 Millionen Stück. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Produktion zuerst stark eingeschränkt und später vollkommen eingestellt, weil das Tempo-Taschentuch keine Berücksichtigung in der Liste kriegswichtiger Güter erfuhr.

Im Dezember 1947 wurde die Produktion in Heroldsberg und Forchheim wieder aufgenommen, der Verkauf und damit das Fertigungsvolumen wuchs weiter an. 1955 verkauften die Vereinigten Papierwerke erstmals mehr als eine Milliarde Taschentücher. Die starke Nachfrage führte zur Errichtung weiterer Produktionsstandorte in Glückstadt (1958), Neuss (1962) und Gelsenkirchen (1972). Die Erweiterung der Produktionsanlagen ließ 1977 die Produktion von mehr als zehn Milliarden Taschentüchern zu. Zwischen 1985 und 1987 wurde die gesamte Produktion nach Neuss verlagert.

Ab April 1989 trat das Unternehmen unter der Firmierung VP-Schickedanz AG auf, die 1994 vom US-amerikanischen Konzern Procter & Gamble aufgekauft wurde. Im März 2007 wurde sie von diesem Unternehmen für 512 Mio. EUR an dessen schwedischen Konkurrenten SCA verkauft. Seit Mitte 2017 ist die Marke Tempo Teil des Unternehmens Essity, das von SCA abgespalten wurde.

Das Produktionsvolumen stieg nach der Übernahme auf mehr als 20 Milliarden Taschentücher im Jahr 2004 an.

Zu guter Letzt

Schickedanz erhielt nach dem Ende der NS-Herrschaft zunächst Berufsverbot und wurde 1949 als Mitläufer eingestuft, worauf er relativ schnell wieder als Unternehmer tätig sein durfte. 1951 zahlte der Versandhausunternehmer den Rosenfelder-Erben mehrere Millionen D-Mark Entschädigung.

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