Das Leid türkischer Kinder – Meine Kolumne aus dem Tagesspiegel

Handwerk trifft auch in der Türkei auf goldenen Boden, aber da muss man erst einmal mit den Vorurteilen in der Gesellschaft klarkommen.

Das ist die Deutschland unbekannte Seite des türkischen Bildungssystems. Darüber schrieb ich in meiner Kolumne im Tagesspiegel. Die Überschrift in der Zeitung: “Von wegen goldener Boden”

Das Leid türkischer Kinder und Jugendlicher in der Türkei dürfte in Deutschland unbekannt sein. Damit meine ich nicht die Kinder, die in Armut leben und was Bildung angeht, unter „ferner liefen“ gebucht werden.

Von den einfachen Familien angefangen bis zu den Superreichen der Türkei, ist für die Kinder ein Uni-Diplom Pflicht. Es gibt zwar Berufsschulen, aber die haben – verglichen mit Deutschland – den Status der Sonderschulen.

Wer den soliden Weg des Handwerkers geht, ist in den Augen der Gesellschaft eher zu den Gescheiterten zu zählen. Dabei fehlen der Türkei gerade diese Menschen, die auch gut bezahlt werden. Viele Unternehmen der Stahlbranche können zum Beispiel bei vollen Auftragsbüchern nicht produzieren, weil sie keine Facharbeiter finden. Auf dem Markt sind nur arbeitslose Akademiker. Deren Arbeitslosenquote wird beschönigt mit 35 Prozent angegeben. Und viele von ihnen verrichten Gelegenheitsjobs.

Warum ich darauf zu sprechen komme. Nach meinem „Gegangenwerden“ aus der Türkei holte ich Frau und Kind nach. Mein Sohn möchte in der IT-Branche seinen Weg machen, wie sein Onkel. Nur, da er gerade mal zwei Jahre hier ist und von jetzt auf gleich in einer Regelklasse sein Deutsch aufgeschnappt hat, kann er die für die IT-Branche nötige Note eins oder zwei im Deutschen nicht vorweisen. Wie sollte das auch gehen? Also habe ich gedacht, dass er zuerst etwas anderes lernt und später dann den Fachinformatiker macht, wenn die Noten keine entscheidende Rolle mehr spielen. Übrigens, in Englisch und Mathe, was für die IT ja wichtig ist, hat er die Einsen und war in seinem ersten Jahr in Deutschland sogar Klassenbester – außer der vier in Deutsch.

Das ist das Ergebnis des Powerschoolings in einer türkischen Privatschule. Als er in die achte Klasse in Bayern eingeschult wurde, sagte die Lehrerin beim ersten Elternsprechtag: „Wir werden ihm in den nächsten zwei, drei Jahren nichts beibringen können, denn er hat alles intus. Es reicht, wenn er sein Deutsch verbessert.“ Hättet Ihr gedacht, dass das Schulsystem der Türkei den Kindern so viel Wissen einpaukt? Aber nur auf dem Weg zu den Uniaufnahmeprüfungen, da entscheidet sich das Spiel des Lebens. Schaffst du die Punktzahl nicht, wirst du irgendwas.

Warum ich das geschrieben habe? Meine Frau schämt sich, der Verwandtschaft in der Türkei zu sagen, dass unser Sohn eine Ausbildung macht. „Typisch Türkisch“, sagt mein Sohn, mein Stolz und das mit 15 Jahren.

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