Armut: Das stille Leiden ist eine türkische Stärke. Leider!

Oftmals müssen ein Simit (Sesamringe) und Tee, die Mahlzeit ersetzen.

Der Armut zu trotzen, sollte nicht Schweigen bedeuten. Was passiert eigentlich in einem Land, wo die Mieten höher sind als der monatliche Mindestlohn? Mit der Pandemie in 2020 geriet alles noch weiter aus dem Ruder. Menschen, zogen von den teuren Metropolen, in anatolische  Städte, wo das Leben noch einigermaßen finanzierbar war und wo sie über die Runden kamen, oder zu kommen glaubten. Sofort nutzten die Vermieter in den anatolischen Städten die Situation und erhöhten die Mieten.

Der Vorteil, verglichen mit der Metropole war dahin und hinzu kam noch, dass der Wohnraum zur Miete begrenzt war. Denn es wurde weniger gebaut als in den Metropolen, wie Istanbul, Izmir, Antalya, Ankara u.a. Es sollte aber noch mehr aus dem Ruder geraten. In der Türkei studieren, laut den Statistiken aus 2019, 7,98 Millionen Schüler. Da diese in den seltensten Fällen in der Stadt studieren, wo sie eigentlich herkommen, sahen sie in der Pandemie, wo alle Unis dicht waren, keine Notwendigkeit in der teuren Stadt zu bleiben bzw. unnötig Mieten zu bezahlen. Sie zogen wieder zurück zu ihren Familien und warteten ab.

Jetzt sind die Universitäten des Landes geöffnet, nur, die Studenten, wieder zurück in der Universitätsstadt, finden auf einmal Mietwohnungen vor, die in einem Jahr 100% und mehr teurer wurden. Laut einer Meldung der Wirtschaftszeitung Dünya, liegen die Mietsteigerungen zwischen 30 und 200 Prozent. Wie da die Inflation bei 16% sein kann, muss man sich ernsthaft in Frage stellen, wo doch die Schätzungen sowieso bei 50% liegen.

Dramatischer sieht es z.B. in Diyarbakir aus. Die kurdische Hochburg hat ebenfalls eine Universität, aber keinen Mietraum mehr. In der Stadt ist die Bautätigkeit bei null. Die Situation sieht z.B. in Antalya, wo viele hinziehen, auch nicht gut aus. Es gibt einfach kein Mietraum. So braucht man auch nicht über teuer und günstig reden, es gibt sie einfach nicht.

Wieder bin ich an dem Punkt, wo ich leider schwarz und noch schwärzer malen muss. Wie sollen da die Gleichgewichte in der Türkei wieder in Ordnung kommen, so dass die Rechnung für die Menschen wieder aufgeht. Das Bauen ist um über 100% teurer geworden in den letzten zwei Jahren. Wer heute noch baut, dann nur in der Absicht, um an die Reichsten der Reichen zu verkaufen, denn alles andere würde aus Sicht des Bauunternehmers bedeuten, Geld in die Erde einzubuddeln bzw. das investierte Geld niemals wieder zu sehen. Über die Mieten würden sich die Gebäude wahrscheinlich in fünfzig Jahren amortisieren, wenn überhaupt.

Der Mindestlohn liegt bei 2.850 TL Netto. Die Hungergrenze für eine vierköpfige Familie lag letzten Monat noch bei 2.926 TL. Das ist der Betrag, den diese Familie benötigt, um gesund und ausreichend sich zu ernähren. Ihr merkt, selbst dieser Betrag liegt über dem Mindestlohn und die Familie hätte noch kein Dach überm Kopf. 9.533 TL ist die Armutsgrenze für die o.g. Familie. Für einen Ledigen, der alleine für sich existieren muss, beträgt die Armutsgrenze 3.579 TL. Die Zahlen werden monatlich vom Türkischen Gewerkschaftsbund (Türk-Is) errechnet und bekanntgegeben und sind auch Zahlen, die von der Regierung akzeptiert werden.

12.589.000 Menschen arbeiteten zum Januar 2021 zum Mindestlohn. In der Summe macht das, ausgehend von einer vierköpfigen Familie, fast 60% der Bevölkerung aus. Es heißt natürlich nicht, dass der Rest arbeitet, oder gar ausreichend verdient. Die Frage die man sich auch noch stellen kann ist, wo bleiben die Flüchtlinge, die nur einen Job bekommen, wenn sie die türkischen Arbeitskräfte in Sachen Gehalt unterbieten?

Die Türkei bleibt explosiv. Wohin wird diese Armut hinführen? Ab wann wird es rumoren, bis sich diese Menschen laut zu Wort melden, oder werden sie das überhaupt mal tun? Das stille Leiden, schein eine türkische Stärke zu sein. Schwach!

Can Dündar schreibt, dass Erdogan auch dem Alter Tribut zollen muss und dass sein Abgang kurz bevorsteht. Mag sein, aber was wird der Mann oder die Frau nach ihm machen können? Was ist noch da, was gehört noch der Türkei? Geld ist keines da, also müssen erst einmal einige Hundert Millionen vom IWF geholt werden und dann? Was ich machen würde, wenn ich an der Spitze der Türkei wäre? Ich würde die parlamentarische Demokratie sofort zurückholen. Was ich allerdings dann machen müsste, oder könnte, um die stark verschobenen Gewichte wieder in Ordnung zu bringen, damit die Menschen auch rechnerisch über die Runden kommen, so eine Formel hätte ich nicht.

Der Abstieg wird nicht mehr aufzuhalten sein, zumal die Mindestlöhne immer niedrig bleiben müssen. Würden die Menschen gerecht entlohnt werden, wäre die Türkei für die ausländischen Investoren völlig uninteressant. Investieren tun nur die, die Mitarbeiter vorfinden, die man für einen Appel und Ei arbeiten lassen kann. Es wird zum Knall kommen und kommen müssen. Wenn nicht, umso schlimmer, denn von alleine kommt so ein Bild nicht mehr in Ordnung.

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