“In den Wind geschlagen” – Atatürks Warnungen (Meine Kolumne aus dem Tagesspiegel)

Heute jährt sich der Todestag vom Staatsgründers der Türkei und großen Reformers Mustafa Kemal Atatürk, der am 10. November 1938 verstarb. Ohne ihn gäbe es der Türkei in dieser Form definitiv nicht. Die Landessprache wären: Englisch, Französisch, Griechisch und Italienisch, denn das Land war unter den Nationen, die diese Sprachen sprachen, schon aufgeteilt. Es bleibt zu vermuten, dass Türkisch evtl. als Sprache einer Minderheit noch gegeben hätte. Der Islam, im Besonderen der politische Islam hätte null Chancen gehabt zu wachsen und zu gedeihen. Das war aber auch ein Ziel von Atatürk, der die Türkei laizistisch wissen wollte, aber nicht lange genug lebte, um das in die Tat umzusetzen. Möge der große Reformer in Frieden ruhen, auch wenn wir so ziemlich alles versaut haben, was er uns hinterlassen hat.
Hier meine Kolumne aus dem TAGESSPIEGEL von heute. Hat ebenfalls mit diesem Thema zu tun.
Ab dem 23. April 1920 war die Türkei mit der Einrichtung der Großen Nationalversammlung in Ankara faktisch eine Republik. Doch die offizielle Anerkennung kam erst drei Jahre später, zum 29. Oktober 1923.
Dieser Tag wurde gerade im ganzen Land gefeiert. Die Türkei ist 98 Jahre alt geworden! Aber die Türkei ist schon lange nicht mehr das, was sich der Staatsgründer Atatürk gewünscht und vorgestellt hatte. Dieses Jahr feierte übrigens auch die Regierenden mit, was sie in den letzten Jahren immer öfter vermieden haben. An diesem Tag ließen sich üblicherweise viele, auch die Präsidenten, krankschreiben, oder machten widerwillig mit. Nicht so in diesem Jahr.
Erdogan gehen die Instrumente zum Machterhalt aus. Er muss auf das setzen, was noch da ist. Nämlich das Gerüst der Republik und die Fahne. Das sind die zwei Nenner, unter denen sich die meisten Türken und die sich türkisch-Fühlenden wiederfinden. Die AKP-Schreiber haben gut bedachte Reden geschrieben: Das Land, die Republik, so hochleben lassen, dass Atatürks Anteil daran (der hundert Prozent ausmacht) nicht so groß erscheint. Das Problem ist, dass die AKP auf die nationalistische Partei MHP angewiesen ist. Also werden die Reden so dosiert, dass auch diese Kreise, die Atatürk bis heute treu sind, mitgenommen werden und nicht aufmucken.
Für mich ist Atatürk der größte Reformer, der jemals auf Erden gelebt hat. In so kurzer Zeit eine bankrotte Nation von der Steinzeit und dem Islam der Osmanen in die zivilisierte, moderne Welt zu führen, war sein Werk. Zu seinen Lebzeiten sprach er immer folgende Warnung aus: Die Türkei müsse laizistisch bleiben, koste es was es wolle. Fast im selben Atemzug sagte er auch, dass die, die heute den politischen Islam ausmachen, in der kurzen Zeit seines Wirkens unmöglich abgedrängt und unwirksam gemacht werden könnten. Diese würden – wenn man nicht aufpasse – in weniger als hundert Jahren wieder das Sagen haben.
Es kam so, wie er es vorhersagte. Die Türken waren zu schwach und der politische Islam der Heuchler, Diebe und Betrüger zu stark. Die Türkei feiert eine Republik, von der nur noch das Gerüst existiert. Und die Hoffnung, dass man dieses in ferner Zukunft mit Leben füllen kann.
Das geistige Potential, das Rad der Zeit zurückzudrehen, existiert nicht mehr. Anstand und Respekt sind auf der Strecke geblieben. Mit Inschallah funktioniert das schon lange nicht mehr. Die Religion macht die Kühlschränke nicht voll.
An dieser Stelle möchte ich an die schöne Geschichte erinnern, die sich bei Trauerzug von Atatürk, durch die Straßen von Istanbul sich ereignete:
…und auf einmal! Es regnen Knöpfe auf den Sarg von Mustafa Kemal Pascha als sein Sarg das Stadtteil Karaköy erreicht, den damaligen Handelszentrum der Stadt Istanbul.
Heute jährt sich der Todestag von Mustafa Kemal Atatürk, dem Staatsgründer, der die Türkei aus dem Staub, der Asche und den Schulden erschaffen hat, die die Osmanen hinterlassen hatten.
Weiter im Geschehen: Viele bunte Knöpfe in allen Größen prallen auf den Sarg. Die Menschen an den Fenstern in Karaköy schmeißen es runter. In kurzer Zeit gibt es ein Meer von lauter bunter Knöpfe.
Nur die die Knöpfe runterschmeißen, wissen worum es geht. Die anderen staunen, weil sie bis dahin so etwas nicht erlebt hatten. Später klärt sich die Sache noch auf. Es sind jüdische Türken, die ein Brauch pflegen. Sie reißen die Knöpfe ihrer Hemden und Jacken und schmeißen es hinter dem Toten, die sie verehren.
„Nach dir bin ich nie mehr wieder ganz“ soll es bedeuten.
Ich fragte meinen Freund, den bekannten Künstler Heiko David Schaldach, ob er mir zu dieser Geschichte etwas zeichnen könne. Die Story fand er auf Anhieb gut. Er sagte sofort zu und fing für sein Bild zu recherchieren an. Nach der Recherche hatte er eine Vorstellung, wie es damals beim Begräbnis von Mustafa Kemal Pascha (erst mit dem Nachnamengesetz Atatürk genannt) zugegangen sein musste und das Bild entstand.
Auf diesem Wege Heiko David, nochmals vielen lieben Dank.
Hier ein Spruch von ihm, an dem ich euch teilhaben lassen möchte:
“Ich habe mich mein ganzes Leben als Künstler (Internationaler Karikaturist) im Dienste des Friedens eingesetzt. Meine Antwort ist als Künstler Grenzen zu überschreiten, in der Reflektion des tun’s durch Karikaturen. Was ist Menschlich? Der Mensch ist nicht zum Menschen geboren, er wird Mensch, in dem er menschlich handelt. Ihre Unmenschlichkeit zeigen ihre Taten”.