Buchtipp: Was geschah in Saaz und Postelberg im Juni 1945?

Was geschah in Saaz und Postelberg im Juni 1945? Der Titel des Buches machte mich schon deshalb neugierig, weil ich erst vor einigen Monaten erfuhr, dass mitten in Frankfurt am Main ein KZ existierte. Um an die Opfer der Adlerwerke und des KZ’s Katzbach zu erinnern, stellten wir uns mit den Namensschildern der Toten am Main entlang und hielten Totenwache. Die Frankfurter, die beim schönsten Sonnenwetter an uns vorbeizogen, staunten nicht schlecht, als sie hörten, dass wir knapp 3-4 Kilometer vom ehemaligen KZ Katzbach entfernt uns aufhielten. Viele Gräueltaten des zweiten Weltkrieges sind bis heute nicht aufgearbeitet worden bzw. bewusst verschwiegen worden. Bei Katzbach war das nicht anders. Die Stadt Frankfurt wollte Jahrzehnte lang nicht mit einem KZ und der dunklen Vergangenheit der Adlerwerke befleckt sein. Kommen wir zu Saaz und Postelberg.
Ja, was geschah damals in Saaz und Postelberg? Die Antwort auf diese Frage findet sich in dem Buch von Andreas Kalckhoff. Es gibt Bücher und Bücher und dieses ist so ein Buch der Klasse, Prädikat besonders wertvoll.
Den Gräueltaten am Postelberg Anfang Juni 1945 dem Schauplatz eines Völkermords an der lokalen deutschsprachigen Bevölkerung, verleiht es auch das nötige Gewicht, zumal das Buch locker über zwei Kilo wiegt (in Deutsch und Tschechisch). Niemand weiß, wie viele Einwohner des Saazerlandes nach dem Krieg tatsächlich getötet wurden. Exhumiert wurden knapp 800, aber vermisst wurden 1.500. Aus dem Buch erfährt man, dass sogar die Mörder (Tschechen), wie im Fall von KZ Katzbach (Deutsche) auch, bekannt waren, aber für sie sogar Gesetze erlassen wurden, damit sie straffrei davonkamen.
Es handelt sich um die größte ethnische Säuberung an einem Ort in Europa seit Ende des 2. Weltkriegs bis zum Massaker in Srebenica in Bosnien Mitte der 1990er Jahre. Der Vergleich mit Srebenica ist tatsächlich mehr als treffend, denn vor dem Krieg lag Postelberg/Potoloprty genau an der tschechisch-deutschen Sprachgrenze, und die beiden Völkergruppen waren zahlenmäßig fast gleich stark vertreten.
In dem Buch, basierend auf die Geheimakten aus tschechischen Archiven und Befragung von Zeitzeugen, die die Morde überlebt haben, oder am Rande vor Ort erlebt haben, kann man sich in die damalige Zeit versetzen und spüren, was die Menschen damals gefühlt und erlebt und manchmal nicht überlebt haben.
Der Autor, Dr. phil. Andreas Kalckhoff, sagt, dass in seinem Buch weder die Schuld angeklagt, noch verrechnet wird. Es ist die Aufarbeitung der Geschehnisse vor Ort und das finstere Kapitel deutsch-tschechischer Beziehungen.
Man muss den Tschechen hoch anrechnen, dass sie mittlerweile sich auch mit den dunkelsten Kapiteln ihrer Vergangenheit befassen und sich eine Meinung darüber bilden. Das habe ich ebenfalls aus diesem tollen Buch erfahren dürfen.
Ich wünschte, auch die Türkei wäre eines Tages so weit, um die eigene Geschichte der jüngeren Zeit von knapp über hundert Jahren offen aufzuarbeiten und zu diskutieren.
Um mit einem Zitat von Kalckhoff zu schließen: „In der Tragödie führt das unschuldig schuldig Werden zu großem Leid für alle Beteiligten. Im Betrachter erregt dieses Mitleid und Schrecken, durch die er zum Katharsis, zur Reinigung der Seele gelangt. Ich wünsche dem Leser dieses Buches, dass er auch etwas davon spürt.“ Ich habe es gespürt und wie.