Von mir, heute im TAGESSPIEGEL: Der Ruf des Goldes

Foto: nadirgold.com

Wer schon mal auf einer türkischen Hochzeit war, kennt diesen Augenblick: Wenn das Paar auf der Bühne steht und ihnen ein langes, schmales Stück Stoff umgelegt wird. Dann wissen alle Gäste Bescheid: Jetzt beginnt die Goldzeremonie. In der Türkei nämlich ist es üblich, dass man dem Brautpaar gratuliert, indem man Gold an die Schärpe hängt.

Wer denkt, dass es ja jedem freistehe, was er oder sie anhängt – weit gefehlt! Die Szene wird genau beobachtet, auch gefilmt und im Nachhinein geht es zum Videobeweis. Wer hat eine Çeyrek (Viertel=1,75 Gramm), eine Yarim (Halbe) oder eine Tam (Ganze) Goldmünze angehängt? Bei allen handelt es sich natürlich um komplette Münzen, bloß das Gewicht ist unterschiedlich. Vor allem die Mütter des Brautpaares wissen genau, wie viel Gold wer beigesteuert hat. Manchmal hängt davon die Fortsetzung der Freundschaft ab. Wenn Mustafa dem Sohn von Ali bei dessen Hochzeit einen „Halben“ schenkte, er selbst aber nur eine „Viertel“-Goldmünze zur Hochzeit von Mustafas Tochter mitbringt, dann kann es Ärger geben.Dieser kann so weit gehen, dass Einladungen zu goldigen Feierlichkeiten der in Ungnade gefallenen Familie – beispielsweise die Beschneidungsfeier oder Hochzeit – ignoriert werden.

Beim Gold spielt es keine Rolle, wie der aktuelle Kurs ist. Vielmehr muss das Gewicht der jeweiligen Goldmünze stimmen. Ist der Kurs gerade niedrig, kommt man günstiger weg. Explodiert er, bereut man das teurere Gegengeschenk in gleicher Größe.

Die aktuelle Wirtschaftskrise hat diese Tradition allerdings ins Wanken gebracht. Man spricht bereits darüber, noch kleinere Münzen in Betracht zu ziehen. Sogar Silber ist als Geschenk im Gespräch. Aber bevor man sich diese Blöße gibt, meidet man die Feier lieber ganz. Aus Scham, weil man sich eventuell kein Gold mehr leisten kann – klingt nach einem Jetset-Problem, ist aber bereits ein Mittelstandsproblem.

Eine Feier muss man zu vielen Gegebenheiten veranstalten, der Erwartungsdruck ist groß. Ein Sünnet-Fest (Beschneidungsfeier) beispielsweise kann den Ruin der Familie bedeuten, wenn nicht genug Gold- und Geldgeschenke zu erwarten sind. Dann lässt man auch hierzulande die Religion Religion sein und verzichtet darauf. Oder? Nein! Besser verbrät man die in den vergangenen Jahren ersparten Zehntausende von Euro, anstatt sich die Blöße zu geben. Nicht gerade schlau – aber typisch türkisch.

Die Tagesspiegel-Kolumne:

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