Das Restaurant Sil´ in Bachmut (Ukraine)

"Das Bild hat einen kleinen Schönheitsfehler, denn Ihr werdet Euch nie an diesen Tisch an diesem Ort setzen können." Foto: Screenshot Google
Restaurant Sil´: Ist das nicht ein schön gedeckter Tisch? In einem schönen Ambiente? Sicher, es geht noch besser, noch exklusiver, aber, mal im Ernst: Bekommt man da keine Lust, sich hinzusetzen?
Das Bild hat einen kleinen Schönheitsfehler, denn Ihr werdet Euch nie an diesen Tisch an diesem Ort setzen können. Denn dieser Tisch, der so liebevoll von fleißigen Angestellten in einem renovierten Bau gedeckt wurde, stand in Bachmut. Einer Stadt, die durch die Kämpfe zwischen Ukrainern und Russen in einen rauchenden Trümmerhaufen verwandelt wurde, in dem nur noch die Ratten überreich Nahrung finden.
Ich habe mir Bachmut einmal auf googlemaps angesehen. Es gibt hunderte solcher Fotos. Fotos von Menschen, die ihr Gewerbe, ihre Unternehmung und ihre Existenz auf google vorgestellt haben, in der Hoffnung, so Kundschaft anzulocken. Was ihnen, hätte ich je Bachmut besuchen wollen, mit dem unteren Bild sicher gelungen wäre. Jetzt ist da nichts mehr. Gar nichts mehr. Außer Trümmern.
Was aus dem Eigentümer und seiner Familie und seinen Angestellten wohl wurde? Leben sie noch? Sind sie geflohen? Kämpft er an der Front, während seine Frau unter den Trümmern des Hauses noch der Entdeckung ihres Leichnams harrt? Oder hat sie es geschafft, mit den möglichen Kindern in Sicherheit zu kommen? Was wurde aus den Angestellten? War das ein Familienbetrieb? Was wurde aus dem Tattoo-Laden nebendran oder dem Fahrradladen?
Wir werden es nie erfahren, denn Bachmut ist buchstäblich ausradiert und kein Platz zum Leben mehr – nicht einmal zum vegetieren. Die Kämpfe ziehen sich nun schon über Wochen und Monate und keine Seite kommt vorwärts oder weicht zurück. Ein Hauch von Verdun weht über der Stadt.
Nein, ich habe auch keine Lösung und auch keine Idee. Ich bin nur einfach traurig, wie wenig Achtung ein Krieg von den Menschen und ihren Lebensleistungen und Träumen hat. Wie wenig auch der einzelne Soldat dafür kann, dass er genau hier, genau jetzt und genau an diesem Ort kämpfen muss. Nicht für Russland. Nicht für die Ukraine. Sondern nur für sein eigenes kleines Leben, auf dass er noch eine Stunde länger in Dreck, Müll und Trümmern überleben darf.
Und wie immer steht die Frage im Raum: Wofür? Was ist Freiheit in Trümmern wert? Was ist Freiheit wert, wenn Du der einzige Deiner Familie bist, der sie noch erlebt? Hat Joan Baez Recht, wenn sie singt “Freedom ist just another word for nothing left to lose”?
Hätte ich lieber ein Haus in Putins Russland? Oder einen Trümmerhaufen in der freien Ukraine? Oder hätte ich in Putins Russland gar kein Haus mehr und dann schon lieber einen Trümmerhaufen in der freien Ukraine? Die mir zumindest die Chance gibt, das Haus wieder aufzubauen? Ich weiß es nicht, ich kann das nicht abschließend beantworten. Fakt ist, dass ich ein funktionierendes und liebevoll restauriertes Heim habe, auf das ich nicht unbedingt einen Artillerietreffer – egal, von welcher Seite er kommt – haben möchte.
Mir tun die Menschen in der Ukraine unsagbar leid. Und dass ich nie im Sil´ (4,5 Sterne bei 458 Bewertungen), nach dem Besuch des Bachmuter Lokalmuseums in der Nähe, essen werde.
Gastbeitrag von Thilo Schneider: Versicherungskaufmann und Versicherungsfachwirt, Buchautor, Autor u.a. bei Achse des Guten, mein Freund, was am meisten zählt, u.a. Auf seiner Website politticker.de heißt es: “Andererseits bin ich käuflich. Wenn Sie also einen Catch-Phraser, einen Programmschreiber, einen Comedy-Autoren, einen politischen, rechtsliberalen Autoren oder Kommentator suchen: Machen Sie mir ein unmoralisches Angebot.”
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