Türkische TV-Serien und der Schatten des Korans

Türkische TV-Serien werden auch international immer beliebter. Sie sind besonders dramatisch, ausladend – und gewalttätig. Das stört niemand und doch bekam eine Serie kürzlich fünfwöchiges Sendeverbot – weil Gewalt in einer muslimischen Ehe gezeigt wurde.
Eigentlich schaue ich mir keine türkischen TV-Serien an, obwohl sie mittlerweile zu Exportschlagern geworden sind und etwa über Netflix, Disney Channel+ oder nationale Sender weltweit ausgestrahlt werden.
Die Macher haben mittlerweile Übung und verstehen ihr Handwerk. So sind die Serien, was das Handwerkliche angeht, tadellos gedreht. Mittlerweile steigt man in eine neue Serie von Produktionsseite nicht mehr voll ein. Zuerst werden sechs bis sieben Folgen abgedreht. Der Sender kauft erst einmal nur diese wenigen Folgen, um zu schauen, ob die neue Serie bei den Zuschauern ankommt. Ansonsten wird noch eine finale Folge gedreht, in der zumeist die Hauptfiguren sterben und das war’s dann.
Wenn ich Ihnen jetzt von abendfüllenden Serien erzähle, dann meine ich das auch so. 20 Uhr geht es bei allen Sendern los. Zuerst wird – inklusive Werbeblöcken – fast zwei Stunden lang die Sendung der Vorwoche wiederholt und dann geht es mit der neuen Folge los. Bis Mitternacht.
Die Geschichten spielen sich zumeist, wie aus dem türkischen Leben gegriffen, nicht in reichen, sondern in superreichen Kreisen ab. Ich wette, dass Deutschland eine solche Anzahl von schönen Stars und Sternchen, Mann wie Frau, aber auch Diverse, nicht hat. Schon nach der ersten Folge steigen die Schauspieler und Schauspielerinnen zu Instagram-Größen auf und haben für das Leben ausgesorgt. Sogar als B- und C-Promis – die sie dann sind, wenn sie keinen Erfolg mit der Serie gehabt haben –, haben mindestens eine halbe Million, wohl eher Millionen von Followern.
Gewalt ist immer im Spiel
Bei einer aus den USA in Lizenz gekaufter Geschichte sagte der Drehbuchautor aus den USA, dass er mit Staunen zusehen würde, wie die türkischen Folgen in die Länge gestreckt würden. In den Staaten würde eine Folge ohne Werbung circa 20 bis 25 Minuten dauern, aber in der Türkei satte zwei Stunden. Die gleiche Story wohlgemerkt. Dank der Drohnentechnologie gibt es City-Sightseeing von oben. Immer dieselben identischen Szenen und das jede Woche. Zum Beispiel fährt da immer ein Schiff am Bosporus in Richtung einer der Brücken entlang. Seit 20 Folgen schafft es das Boot nicht, unter der Brücke durchzufahren, weil immer die gleiche Sequenz gezeigt wird.
Auch gibt es viele Standbilder, sodass man denken könnte, man schaut sich einen Fotoroman an. Sie schaut ihn an, oder umgekehrt. Mit Musikuntermalung kann das locker eine Minute und länger dauern. Gewalt ist immer im Spiel. Sonst verkauft sich die Serie anscheinend nicht. Wenn man die Serien schaut, könnte man glauben, dass in der Türkei niemand ohne Bodyguard auskommen kann. Ein Muss!
Es gab mal eine Polizeiserie, bei der ein Team von Kriminalbeamten zusammen agierte. Immer wenn es zu Schießereien kam, mussten die „Guten“ froh sein, dass sie keine echte Kugeln verschossen, denn sie standen sich gegenseitig im Weg, aber schossen auf Teufel komm raus.
So, das sollte jetzt mein Intro sein. Diese Woche bin ich auf eine Serie aufmerksam geworden, weil diese von der staatlichen Aufsichtsbehörde RTÜK fünf Wochen Sendesperre bekommen hat. Bei so etwas werde ich hellhörig, denn es gibt fast keine Serie, in der Gewalt nicht verherrlicht würde. Und dann kommt es zu einer Sperre wegen Gewaltverherrlichung und Gewalt gegen Frauen?
Kopftuchzwang ohne Worte
Also musste ich mir die Serie reinziehen, um zu sehen, was diese fünfwöchige Sperre denn bewirkt hatte. „Kizilcik Serbeti“ bedeutet übersetzt „Cranberry-Sirup“. So heißt die Serie. Warum die Produktion als ein Meilenstein in der Serienlandschaft der Türkei bezeichnet wurde, konnte man schon in der ersten Folge feststellen. Eine moderne Schulrektorin mit zwei Töchtern, alleinerziehend mit der eigenen Mutter und einer Haushaltshilfe lebend, verachtet die Kopftuchträgerinnen, die ihr die Luft wegnehmen. Dann wird die 20-jährige ältere Tochter von ihrem Freund schwanger. Also müssen sie schnell heiraten. Dabei stellt sich heraus, dass der Schwiegersohn in spe aus einer religiös konservativen Familie kommt. Mutter und Schwester sind Kopftuchträgerinnen. Auch die sonstigen Familienmitglieder beten, wie es der Koran vorschreibt, fünfmal am Tag.
Die Familien stehen sich 180 Grad entgegengesetzt gegenüber. Gegen den Willen der Mutter der Braut wird geheiratet. Schon in diesem Zusammenhang kommt es zu großen Missverständnissen und Ärger. Wie soll Hochzeit gefeiert werden, wenn die Hälfte kein Alkohol trinken darf, aber die andere Hälfte ein Feiern ohne Alkohol nicht kennt? Die Braut, die Zahnmedizin studiert, soll es auf Anraten der Ärzte während der Schwangerschaft ruhiger angehen lassen. Das nutzt der Bräutigam mit leichtem Druck aus und macht ihr klar, dass es besser wäre, wenn sie ein Jahr pausiert mit dem Studium. Sie verspricht ihrer Mutter, dass sie es auf keinen Fall abbrechen würde. Die Spannungen nehmen zu, zumal die junge Frau sich doch in einer ganz anderen Welt wiederfindet. Die Familie des Bräutigams versucht sich verständnisvoll zu zeigen, jedoch mit den Grenzen, die ihnen vom Islam auferlegt sind.
Ich sage immer, jeder soll das glauben, was er oder sie glauben möchte, aber für sich. Bei den Frauen denke ich eigentlich wie die oben beschriebene Schuldirektorin einer renommierten Privatschule. Wenn ich eine Frau mit Kopftuch sehe, versuche ich auf den ersten Blick abzuwägen, ob sie aus ihrer freien Entscheidung heraus Kopftuch trägt, oder ihr dieses irgendwie aufgezwungen wurde. Eigentlich geht es mich nichts an. Oftmals geht es auch ohne Worte, wie ich aus meiner eigenen angeheirateten Familie weiß. Tragen alle Frauen Kopftuch und du nicht, fühlst du dich verpflichtet, es auch zu tun. Also tust du es auch, um den Schein zu wahren.
Aus der angeheirateten Familie kann ich berichten, dass sie in sehr wohlhabenden Verhältnissen leben und eigentlich genug Geld haben, um ohne Arbeit davon zu leben. Ihr Kinderwunsch ist unerfüllt geblieben. Als ich denen sagte: „Euch geht es doch gut, Ihr könntet locker zwanzig Kinder adoptieren. Dann hättet Ihr 20 Kinder fürs Leben gerettet und es könnte denen so gut gehen.“ Auf die Zahl 20 kam ich einfach so, denn sie wohnen in einem Haus mit drei Etagen und massig vielen Zimmern zu zweit.
Dass mein Vorschlag nicht gut ankam, ist noch zu milde ausgedrückt. Sie sprachen, ohne zu begründen warum, monatelang nicht mit mir. Sie haben den Kontakt zu mir gemieden. Dann hat mir ein Familienmitglied eröffnet, was der Grund dieser Haltung war. Muslime, die streng nach dem Koran leben, können keine Kinder adoptieren, sie dürfen es nicht. Der Sinn dahinter ist, dass ein adoptiertes Mädchen sich später mit dem Vater verheiraten könnte, weil nicht eigen Fleisch und Blut, oder der Junge mit der Mutter. Religion halt!
Zuerst veröffentlich am 04.04.23 bei achgut.com