Ein Ladenlokal und die vielen Versuche, dort ein Bistro zu etablieren

In dem Stadtteil, wo ich lebte, hatte ein Bistro aufgemacht. Neuanfänge und Startups finde ich immer spannend und wollte in diesem Fall einer der ersten sein, der sein Geld dort ausgibt. Das auch, aber in erster Linie war ich neugierig, wer der Besitzer war und warum er dort ein Bistro aufgemacht hatte. Ich wusste, auch wegen meiner Neugier, als ich dort einige Monate zuvor das „Zu vermieten“-Schild sah, dass der Laden fünftausend Euro Miete kostete. Eigentlich eine Summe, die in dieser Lage, auch wenn die Straße verdammt gut frequentiert war, kaum zu verdienen war.
Ich war nicht schlecht überrascht, als ich ein bekanntes Gesicht sah. Der circa dreißigjährige junge Mann, ein Deutschlandtürke, kam lächelnd auf mich zu. „Hallo Ahmet Bey.“ Bey ist eine Höflichkeitsfloskel, den man bei Männern verwendet. Ich sofort: „Ich wünsche Ihnen viel Glück, haben Sie also doch noch Ihr Bistro aufgemacht.“ Dazu muss man wissen, dass wir uns in dem damals in Istanbul neu eröffneten Vapiano-Restaurant, welches ich für meine Auftraggeber realisiert hatte, mit Außengastronomie fast 2.000 qm, kennengelernt hatten. Dabei erfuhr er, dass ich außerdem auch Tchibo, Illy-Kaffee und Mövenpick im Gastronomiebereich zu meiner Klientel zählte. So geschah das Unglaubliche, dass ein Türkeistämmiger einen Berater haben wollte, mich. In der Regel spart man sich diesen Betrag, weil man alles selbst besser zu wissen glaubt. Hier müsste ein Lach-Emoji hin. Ich rief als Honorar einen Minibetrag auf, zumal ich wusste, dass er sich zu meinen Ungunsten entscheiden würde. So geschah es auch. Halbes Jahr später, ihn in seinem Bistro zu sehen, kam daher überraschend. „Gute Geschäfte wünsch ich Ihnen, auch wenn es schwer werden wird“, sagte ich. Eigentlich schoss ich übers Ziel hinaus. Einem, der etwas Neues angefangen hat, darf man so nicht kommen. Zum Glück hat er es anders verstanden. Er unterstrich, dass aller Anfang schwer ist. Daraufhin fragte ich ihn, ob er wüsste, was vorher in diesem Laden war. „Ja, ein Bistro!“ sagte er. „Und davor?“ Das wusste er nicht. Seit Menschengedenken war in diesem Laden immer ein Bistro und alle gingen baden. „Sie meinen, dass Sie besser sind als die fünf vor Ihnen?“ „Ja aber, schauen Sie doch, wie gut frequentiert die Straße ist, warum soll es nicht laufen?“ Ich wurde neugierig und fragte: „Haben Sie sich beraten lassen?“ Als er bejahte, war ich platt. „Darf ich erfahren, wer Sie beraten hat?“ Ich war noch geplätteter, als ich die Antwort bekam: „Mein Zahnarzt.“ Die Logik dahinter war, wie ich später erfuhr, dass dessen Zahnarztpraxis boomte – welche nicht – und er dachte, „wer so erfolgreich ist, der wird auch mir einen Rat geben können.“
Tja, auf die Idee muss man erst einmal kommen. Ich hielt den Arm des jungen Mannes und bat ihn auf die Straße mitzukommen. „Was sehen wir hier? Die Einbahnstraße ist gut frequentiert, stimmt, aber merken Sie nicht, dass die Fußgänger allesamt die andere Straße in die Fahrtrichtung benutzen und hier auf der Seite nichts los ist?“ Es herrschte eine gewisse Stille.
Er hatte wohl immer die gesamte Straße, beide Bürgersteige, als eines betrachtet. „Wenn ich Ihnen einen kostenlosen Rat geben darf…schließen Sie den Laden!“, mittlerweile standen auch die Eltern dabei, die die Investition von einer hohen sechsstelligen Summe in vierzig Jahren Deutschland hart erspart hatten. Die Eltern sagten: „Ja, aber wir haben so viel Geld und Herzblut investiert, das geht doch nicht.“ „Ich weiß, es ist die härteste Entscheidung, die man treffen kann, eher muss, aber basiert auf vier Jahrzehnten Erfahrung.“ Zwei Monate später waren die Fenster zugeklebt und auf dem Schild stand: „Wegen Umbauarbeiten geschlossen.“ Eigentlich ein sicherer Hinweis der Geschäftsaufgabe. Pustekuchen! Die hatten tatsächlich umgebaut und machten eine Wiedereröffnung, mit neuem Interieur, als ob es daran gelegen hatte. Nach knapp einem halben Jahr werden die Eltern festgestellt haben, dass sie ein Leben lang für nichts gearbeitet und gespart hatten. Der Laden war zu.